Noch zu Beginn des Jahres hätte man sich wohl kaum vorstellen können, dass sich dieses Szenario abzeichnen würde. Nachdem der Schweizer Franken im Verlauf des Jahres 2023 eine hervorragende Performance unter den G10-Währungen gezeigt hatte, kam es in den letzten Monaten zu einem dramatischen Umschwung, der ihn zu einem der grössten Nachzügler in diesem Jahr machte.
Diese Entwicklung steht auch im deutlichen Kontrast zum Kursanstieg von Bitcoin. Die weltgrösste Kryptowährung ist seit Jahresbeginn um 61 Prozent gestiegen, was den derzeitigen Risikoappetit der Anleger vor Augen führt - in Franken beträgt der Kursgewinn sogar 73 Prozent. Derzeit herrscht eine «Risk-on»-Stimmung, anstatt einer «Risk-off»-Stimmung, von der der Franken normalerweise profitiert.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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«Angesichts der robusten globalen wirtschaftlichen Lage und der globalen Disinflation herrscht derzeit an den Börsen eine 'Risk-on'-Stimmung, die alle Risikoanlagen einschliesslich Aktien, High Yields und Kryptowährungen stärkt und umgekehrt sichere Häfen schwächt», sagt Daniel Hartmann, Chefökonom bei Bantleon, auf Anfrage von cash.ch. Eine Ausnahme bildet Gold - ebenso wie der Franken traditionell ein sicherer Hafen -, das derzeit von anderen Faktoren wie der Nachfrage aus Schwellenländern profitiert.
Der Dollar bleibt derweil beliebt und wertet gegenüber dem Franken um 7,5 Prozent auf, da dieser zur potenziellen Absicherung gegen Ausverkäufe von Risikoanlagen, geopolitische Risiken, negative Wachstumsschocks und hawkishe Fed-Korrekturen oder Inflationsschocks genutzt wird. Profiteure von der Wachstumserholung und daher mit Rückenwind sind insbesondere auch zyklischere Währungen wie der mexikanische Peso - mit plus 10 Prozent legt dieser am stärksten unter den grössten Währungen zu.
Besonders bedeutsam für die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft ist jedoch der kräftige Anstieg des Euros gegenüber dem Schweizer Franken – in Richtung Parität. Ein Euro kostet am Dienstagnachmittag 0,988 Franken, ein Aufschlag von 6,4 Prozent gegenüber den 0,928 Franken von Anfang Januar.
Leerverkäufe gegen den Schweizer Franken
Die Frankenschwäche lässt sich nur teilweise durch die bullishe Marktstimmung erklären. Es gibt auch andere Gründe: Zum einen hat die Schweizerische Nationalbank im März die Zinsen gesenkt, was die Zinsdifferenz zum Euroraum erhöht hat. Zum anderen werden vermehrt Wetten gegen den Schweizer Franken abgeschlossen. «Wir haben festgestellt, dass Leerverkäufe des Schweizer Frankens bei unseren globalen Kunden in letzter Zeit sehr beliebt sind», schreibt Roberto Mandorino, Head of Investments & Advice bei J.P. Morgan Private Bank, in einer Notiz.
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Der Hintergrund dieser Handelsstrategie ist wohl, dass die Schweizerische Nationalbank nicht mehr aktiv einen starken Franken anstrebt, um die hohe Inflation zu bekämpfen. Zudem hat sie als erste grosse Zentralbank in diesem Zyklus die Zinsen gesenkt, da die Inflation nun deutlich unter 2 Prozent liegt. Die verbesserte globalen und eurozonenweite Wachstumsaussichten haben ebenfalls zur jüngsten Schwäche beigetragen. Zudem machen die Zinsdifferenzen den Franken zu einem Favoriten für die Finanzierung von Carry-Trades.
«Die überraschende Zinssenkung im März war sicherlich ein Schlag ins Gesicht des Frankens. Sie hat verdeutlicht, dass die negative Zinsdifferenz zur Eurozone weiterhin hoch bleibt», argumentiert auch Hartmann. Zudem hätten sich die Inflationsraten in der Schweiz und der Eurozone deutlich angenähert. Der entscheidende Grund für die Schwäche des Frankens - beziehungsweise die Stärke des Euro - dürfte jedoch die absehbare wirtschaftliche Erholung in der Eurozone sein. Dadurch hat sich auch die Krisenanfälligkeit in der Eurozone verringert.
Generell ist die rückläufige wirtschaftliche und politische Unsicherheit in der Währungsunion ein Faktor, der gegenwärtig gegen den Franken als klassischen sicheren Hafen spricht. Dies spiegelt sich im rückläufigen «Economic Policy Uncertainty Index» wider, der eng mit dem Franken korreliert.
Viel Raum für Volatilität in den kommenden Wochen
Die Schweizer BIP-Zahlen werden nächste Woche erwartet und die Veröffentlichung der Konsumentenpreis-Daten erfolgt am 4. Juni, zwei Tage vor dem EZB-Beschluss zu den Leitzinsen. Möglicherweise werden daher schon früher Signale über den Kurs der SNB sichtbar, auch da der Vorsitzende Thomas Jordan diesen Freitag eine Rede halten wird. Wenn er sich die Tür für eine Zinssenkung im nächsten Monat offen hält, könnte der Euro noch vor der SNB-Sitzung die Parität gegenüber dem Schweizer Franken testen. Man darf erwarten, dass dieses Setting viel Spielraum für Volatilität bereithält.
Dabei scheint es einen Konsens zwischen den Anlegern und dem EZB-Rat zu geben: Eine Zinssenkung um einen Viertelpunkt wird im nächsten Monat erwartet, gefolgt von einer weiteren Lockerung im September, wenn dies gerechtfertigt ist. Was die Schweizerische Nationalbank betrifft, sehen die Händler mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent eine weitere Senkung um einen Viertelpunkt am 20. Juni voraus. Bis zum Jahresende wird an den Geldmärkten eine Zinsdifferenz von 215 Basispunkten zwischen den Leitzinsen der beiden Zentralbanken erwartet.
Parität ist wahrscheinlich
Mit Blick auf den Rest des Jahres 2024 geht J.P. Morgan Private Bank davon aus, dass Divergenzen in der Politik der Zentralbanken eine immer wichtigere Rolle auf den globalen Devisenmärkten spielen werden. «Unserer Meinung nach wird der Franken unter Druck bleiben, solange das europäische Wachstum - und das globale Wachstum im weiteren Sinne - ansteigt und die Inflation in der Schweiz niedrig genug bleibt, so dass die Zentralbank eine Schwäche der Währung begrüsst.»
Die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone wird sich voraussichtlich in den kommenden Monaten fortsetzen, was zu anhaltender Frankenschwäche führen wird. «Im Zuge dessen könnte es zu einer Parität zwischen Euro und Franken kommen», prognostiziert auch Hartmann. Zum Jahresende erwartet der Chefökonom von Bantleon jedoch eine zunehmende konjunkturelle Abkühlung in den USA.
Das wird wahrscheinlich zu neuer Verunsicherung führen, was dem Franken als sicherem Hafen zugute kommen wird. Ausserdem wird dann wahrscheinlich eine neue Fantasie für Zinssenkungen in der Eurozone und den USA aufkommen und diese Währungsräume entsprechend schwächen. Wenn das Wachstum jedoch das gesamte Jahr über stabil bleibt, spricht das gegen einen sicheren Hafen wie den Schweizer Franken.
Langfristig bleibt der Schweizer Franken Trumpf
Langfristig sprechen viele Faktoren für den Schweizer Franken: Die strukturellen Vorteile wie politische Stabilität, niedrige Staatsverschuldung, geringe Inflation und positive Standortfaktoren sprechen für eine weitere Aufwertungstendenz. Neben der politischen Stabilität und niedrigen Inflation wird sich insbesondere das Thema Staatsverschuldung in den kommenden Jahren noch stärker als Trumpfkarte der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern entwickeln.
Auch Mandorino von J.P. Morgan Private Bank ist der Meinung, dass der Franken wieder seine Stärken ausspielen kann, wahrscheinlich jedoch nicht im Jahr 2024. «Langfristig betrachtet ist es schwer, gegen den Franken zu wetten. Er ist robust und weist einen erheblichen Haushaltsüberschuss auf - zwei wichtige Eigenschaften für eine starke Währung.»