Schon seit einigen Jahren gilt die Schweiz als innovationsstärkstes Land der Welt – so stellt uns auch der «Global Innovation Index» der führenden Wirtschaftshochschulen (Insead) für das Jahr 2021 wieder auf Platz eins.
Diverse Schweizer Innovationen bringen Millionen von Steuergeldern und Arbeitsplätzen ein und sind oft im Hightech-Bereich angesiedelt. Etwa in der Medizinalforschung und -technik, in der die Schweiz stets hervorragend abschneidet, oder in Bereichen, die für die Industrie Materialien und Textilien mit besonderen Eigenschaften herstellt.
Für den Normalbürger ist aber bei vielen dieser Innovationen unklar, wie sie das eigene Leben vereinfachen könnten oder was sie überhaupt nützen. Anders bei diesen drei Erfindungen, die ganz unmittelbar unser Leben beeinflussen: und zwar im Portemonnaie, im Seelenheil und in unserer Garderobe.
Massgeschneiderte Spar- und Anlageplanung
Ende Monat herrscht bei vielen Flaute auf dem Bankkonto. Wenn sich das Geld doch nur automatisch sparen liesse! Ohne dass man es im Portemonnaie gross merkt! Und wenn es sich doch auch gleich noch von selber vermehren würde! Nur haben die meisten Schweizer nicht viel Interesse und leider auch kaum Ahnung, wie das mit dem Investieren und Anlegen überhaupt geht – 75 Prozent aller Schweizer investieren gar nicht.
Dabei kann man auch mit einem bescheidenen Lohn Rücklagen und Vermögen aufbauen. Die gute Nachricht: In gleich beide Lücken gleichzeitig springt ein neues Start-up namens Kaspar& (ausgesprochen: Kaspar und) – es hilft zu sparen und gleichzeitig anzulegen. Aber von Anfang an: Die vier Freunde Jan-Philip Schade (35), Lauro Böni (31), Lukas Plachel (35) und Sebastian Büchler (33) kennen sich, weil sie alle für Pensionskassen Anlagestrategien entwickelt haben.
Sie alle haben in der Schweiz Finance oder Mathematik studiert oder darin doktoriert – und sie merkten irgendwann, dass sie alle denselben Makel an ihrem Beruf bemängeln: «Warum», sagt Jan-Philip Schade, «haben wir eigentlich so lange Vermögensverwaltung und Finanzmanagement studiert, warum haben wir so ein grosses Know-how – und schliesslich profitieren nur einige wenige davon?»
Der Wunsch, für mehr Menschen etwas Positives bewegen zu können, war vor knapp zwei Jahren der Startschuss für ihr ETH-Spinoff-Start-up Kaspar&. Mehrere bestechende Ideen sind im Projekt vereint: Die erste ist, jedem Einzelnen ganz einfach zu ermöglichen, mittels Kleinstbeträgen Geld zu sparen – fast ohne dass man es merkt.
Bei Kaspar& geht das so: Bei jeder Zahlung, die mit der Prepaid-Kaspar&-Karte getätigt wird, rundet die Firma den Zahlbetrag automatisch auf den nächsten Franken auf. Wenn man einen Kaffee bezahlt, der vier Franken zwanzig kostet, belastet die Karte fünf Franken. Die restlichen achtzig Rappen überweist sie automatisch auf ein Anlagekonto – wo sich die Kleinbeträge rasch zusammenläppern, insbesondere wenn man die Karte oft braucht.
Um rascher zu Sparkapital zu kommen, kann man den aufgerundeten Betrag auch noch beliebig multiplizieren. Die zweite Idee ist es, auch Kleinsparern eine professionelle Anlagestrategie zu ermöglichen, wie sie sonst nur Grosskunden von Banken erhalten. Bei Kaspar& kann man verschiedene Spar- und Anlagepläne wählen, die Firma der Fintech- und Anlagestrategie-Experten investiert bereits ab einem Betrag von einem Franken. Und die dritte Idee ist es, das Ganze so einfach wie möglich zu machen: via App.
Und so funktionierts: Nach dem Download der App dauert es ungefähr zehn Minuten und einige Registrierungsschritte auf dem Telefon, bis ein neuer Nutzer registriert ist und nach einigen Tagen per Post gratis drei Dinge erhält: ein Bankkonto bei der Hypothekarbank Lenzburg, ein Anlagedepotkonto und die besagte Prepaid-Kaspar&-Mastercard. Nach einer Einzahlung auf das neue Konto ist die Karte nutzbar wie jede EC- oder Kreditkarte – und der Nutzer kann auf der App zusehen, wie sich seine aufs Anlagekonto eingezahlten Kleinbeträge summieren.
Kosten tut das Ganze wenig: 0,85 Prozent des investierten Vermögens beansprucht Kaspar& für sich selbst – um Stempelabgaben und alle Gebühren für Investitionen zu tätigen, und um sich schliesslich einmal einen angemessenen Lohn auszahlen zu können. Eineinhalb Jahre haben die vier gratis für ihre Firma gearbeitet.
Einziger Wermutstropfen des Ganzen: Aktuell braucht es noch ein neues Bankkonto, die Kaspar&-Karte lässt sich noch nicht an existierende Konten anschliessen. Doch Jan-Philip und seine Freunde wollen das so schnell wie möglich ändern – und sie haben weitere grosse Ziele: «Wir sind mit diversen Grossbanken in Gespräch – und wir wollen nichts Kleineres als das Twint fürs Investieren und Anlegen werden.»
Massgeschneiderte Behandlungen bei Depressionen
Der Bericht «Depressionen in der Schweizer Bevölkerung» aus dem Jahr 2020 vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium zeigt: Ein Viertel bis ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung leidet wenigstens einmal im Leben an einer behandlungswürdigen Depression.
Nicht jeder spricht aber gleich gut auf dieselbe Behandlung an – normalerweise eine Mischung aus Therapie und verschiedenen Medikamentationen. Patienten müssen so teilweise wochenlang leiden, bis eine Besserung eintritt.
Ein Ausnahme-Facharzt für Psychiatrie und ein Physiker mit Interesse an Neuroinformatik und Machine Learning haben sich wegen dieser Problematik gefunden: zum einen Sebastian Olbrich (43). Er leitet das Zentrum für Depressionen, Angststörungen und Psychotherapie am Universitätsspital Zürich. Zum anderen ETH-Physiker Mateo de Bardeci (26), der sich auf Datenanalyse und -auswertung in der Psychiatrie spezialisiert hat. Gemeinsam haben sie den Algorithmus «DeepPsy» entwickelt, der Daten von Herzrhythmus- und Hirnstrommessungen analysiert und aufgrund dieser schliesslich massgeschneiderte Behandlungsmöglichkeiten empfiehlt. Die offizielle Zulassung des fertig entwickelten Tools sollte bereits 2023 erfolgen.
(Fast) Massgeschneiderte Kleider aus dem Onlinehandel
Noch eher in den Kinderschuhen steckt das Start-up Alter Ego. Es hat aber so grosses Potenzial, dass wir es hier erwähnen. Die beiden ETH-Studenten Pietro Zullo (24) und Fayçal M'hamdi (22) wollen den Online-Bekleidungshandel effizienter und umweltfreundlicher gestalten.
Und dies ist dringend nötig: Viele der zurückgesendeten Kleider landen ungeöffnet auf Müllbergen. Und Retouren benötigen grosse Ressourcen bei der Post. Schuld daran sind wir alle: Wer hat nicht schon dasselbe Kleid in verschiedenen Grössen bestellt, das am besten passende behalten und den Rest wieder zurückgeschickt?
An diesem Verhalten wollen die Gründer von Alter Ego ansetzen. Nur ein Ganzkörperfoto soll reichen, um dieser Praxis den Garaus zu bereiten: Denn von diesem Foto erstellt ein von Zullo und M'hamdi entwickelter Algorithmus einen Avatar, also eine Art virtueller Körper, der die eigenen, exakten Masse besitzt. An diesem könnte man Kleidungsstücke, deren Masse die Onlinehändler angeben, online virtuell anprobieren – und so sehen, ob sie passen, bevor man verschiedene Grössen bestellt.
«Wir wollen Leuten die Möglichkeit geben, zu sehen, wie das Kleid tatsächlich fallen würde oder die Hose an ihnen sitzt», sagt einer der Gründer, der Robotik-Student Pietro Zullo. Marktreif ist die Idee noch nicht – aber sie überzeugt bereits erste Investoren: Beim grössten Schweizer Start-up-Wettbewerb «Venture» gehörten die zwei ETH-Studenten dieses Jahr zu den Gewinnern.