Russland zeigt sich unbeeindruckt vom verschärften EU-Embargo für russisches Öl. Eine offizielle Erklärung Moskaus steht aus, während russische Medien die Sanktionen verhöhnen. Dabei wird auch auf internationale Analysten, Ökonomen und Finanzhäuser verwiesen, wonach Russland trotz Sanktionen noch in keine tiefe Rezession gefallen sei. Die russische Wirtschaft sei nicht stark eingebrochen.
In einer der grössten russischen Zeitungen, der «Komsomolskaja Prawda», legen Experten munter dar, wie Russland vom EU-Ölembargo noch profitieren werde. Ganz einfach, sagt Sergej Pikin, Direktor von Russlands Energie-Entwicklungsfonds. «Wenn Sie versuchen, einen der grössten Produzenten von Öl und Erdölprodukten der Welt zu begrenzen, dann gibt es einen Preisanstieg. Und der Produzent wird am Ende das gleiche Öl für mehr verkaufen, nur an jemand anderen.»
Die Sanktionen können gar nicht wirken, schreibt die Online-Ausgabe der «Prawda», der einst grössten Tageszeitung der Sowjets. «Im Westen sucht man nach ‹geheimen› Helfern Russlands, um Sanktionen zu umgehen», schreibt das Portal. Und den Hauptgehilfen der Sanktionsbrecher wollen die Russen auch schon gefunden haben: die Schweiz.
«Die Schweizer Connection»
«Prawda» beruft sich dabei auf ausländische Informationsquellen. Die Suche nach Sanktionsbrechern bringe «überraschende Ergebnisse» zutage, schreibt die Zeitung. Trotz harscher westlicher Rhetorik verkaufe Moskau immer noch erhebliche Mengen an Öl und Gas. Dies «aufgrund der Tatsache, dass einige der grössten Rohstoffhändler der Welt keine besonderen Bedenken haben». Und diese Händler seien in der Schweiz.
Die Schweiz, höhnt die «Prawda», sei trotz antirussischer Sanktionen «nicht konsequent genug». Dazu zeigt die Zeitung ein Bild von Alpen mit Schweizerkreuz. «Fast tausend Rohstoffunternehmen sind in der Schweiz registriert», heisst es. «Das Land erhält dadurch gigantische Einnahmen.»
«Prawda» zitiert das global führende Energie-Newsportal «OilPrice». Ein Bericht mit dem Titel «Die Schweizer Connection: Wie Russland die harten Sanktionen übersteht» will im Detail wissen, dass der «grösste Teil der russischen Rohstoffe über die Schweiz und ihre fast 1000 Rohstofffirmen gehandelt» werde.
Kaum jemand weiss Genaues
Steuern der in der Schweiz registrierten Rohstoffunternehmen hätten dazu geführt, dass die Rohstoffhändler für einen grossen Teil des Bruttoinlandsprodukts des Landes aufkommen – «mehr als Tourismus oder Maschinenbau», wird Oliver Classen zitiert, Mediensprecher beim Schweizer NGO Public Eye. Die Schweizer Aufsicht über den Rohstoffmarkt sei zu lasch, so Classen (Blick berichtete). «Wir müssen in diesem Hochrisikosektor endlich für mehr Transparenz sorgen.»
«Prawda» verweist auf einen Bericht der Schweizer Regierung aus dem Jahr 2018. Laut dem Bundesamt für Statistik zählte die Schweiz in jenem Jahr rund 900 Rohstoffhändler. Das über die Schweiz abgewickelte Handelsvolumen dieser Händler werde laut Bern auf knapp 1000 Milliarden Dollar geschätzt, berichtet die «Deutsche Welle».
Dabei wird auf einen Bericht der Schweizer Botschaft in Moskau verwiesen, wonach etwa 80 Prozent der russischen Rohstoffe über die Schweiz vertrieben würden. «Damit fliesst auch russisches Öl und Gas quasi über Schweizer Schreibtische», folgert das öffentlich-rechtliche deutsche Newsportal. Jedoch wisse kaum jemand Genaues über den sogenannten Transithandel, bei dem nur das Geld über die Schweiz fliesse.
«Goldenes Kalb der Schweiz»
Die Schweiz, folgert «OilPrice», sei ein «wichtiges globales Finanzzentrum im florierenden Rohstoffsektor. Dies, obwohl sie weit von allen globalen Handelsrouten entfernt ist und keinen Zugang zum Meer, keine ehemaligen Kolonialgebiete und keine bedeutenden eigenen Rohstoffe besitzt.»
Das mache den Rohstoffhandel zum «Goldenen Kalb der Schweiz», schreibt das globale Referenzportal für Energie-News.
Forderungen nach einer Aufsichtsbehörde für den Rohstoffsektor nach dem Vorbild des Finanzmarktes seien bislang erfolglos geblieben. Dazu wird Thomas Matter (56) von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zitiert. Die Schweiz solle ihre Neutralität beibehalten: «Wir brauchen nicht noch mehr Regulierung», so Matter. «Auch nicht im Rohstoffsektor.»