Das Börsenjahr 2021 war traumhaft. Egal ob in Zürich, New York oder Sydney – an den Börsen sind in diesem Jahr die Rekorde reihenweise gefallen. Und das trotz grossen Unsicherheiten, wie der Corona-Pandemie, der ansteigenden Inflation, den weltweiten Lieferengpässen oder den hohen Ölpreisen. Die Welt im Krisenmodus – die Börsen in Partylaune. Alles nur eine riesige Blase?
«Nein», sagt Swiss-Life-Chefökonom Marc Brütsch. «Das aktuelle Kursniveau ist realistisch – bis auf ganz wenige Ausnahmen beispielsweise im Tech-Sektor in Amerika.» Im jetzigen Tiefzinsumfeld komme man als Anleger ohnehin gar nicht um Wertpapiere herum. «Es gab in diesem Jahr keine Alternative zu Aktien», sagt Brütsch.
«Es wurde wegen der Pandemie sehr viel Geld in den Markt gepumpt – gerade in Amerika», ergänzt Nannette Hechler-Fayd'herbe, Chief Investment Officer (CIO) der internationalen Vermögensverwaltung der Credit Suisse. Diese Liquiditätsinjektionen hätten geholfen, die Rezession von 2020 schnell hinter sich zu lassen. «Im Zusammenspiel mit der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken und den herausragenden Gewinnen, die die Unternehmen in diesem Jahr erzielt haben, lässt sich das fabelhafte Börsenjahr 2021 erklären.»
Wie wird 2022?
Doch geht die Party im neuen Jahr weiter? Brütsch und Hechler-Fayd'herbe sind sich einig: 2022 wird 2021 nicht übertreffen. «Ich bleibe aber positiv für den Aktienmarkt. Es gibt bereits jetzt wieder positive Zeichen. Die Engpässe in den weltweiten Lieferketten dürften sich Anfang Jahr weiter entspannen» meint Brütsch.
Auch bei der CS bleibt man optimistisch. «Wir erwarten ein gutes, aber normales Jahr», sagt Hechler-Fayd'herbe. Für die Schweizer Börse rechnet sie mit einem Anstieg von circa 5 Prozent – etwas weniger als in Europa (7 Prozent) und Japan (9 Prozent). «Dafür gilt der Schweizer Aktienmarkt dank der eher defensiven Pharmabranche, die mit ihrer Grösse sehr ins Gewicht fällt, als sicherer.»
Diese Risiken lauern 2022
Im neuen Jahr kommen aber auch einige Risiken auf Anleger zu. «Erste Zentralbanken werden wieder die Zinsen erhöhen, das wird auf die Bewertungen drücken», sagt Hechler-Fayd'herbe. In der Schweiz hingegen dürfte die Nationalbank (SNB) weiterhin zuwarten. «Der Aufwertungsdruck auf den Franken ist zu stark. Wir rechnen hierzulande mit keinen Zinserhöhungen.»
Und was ist mit der Inflation? «In der Schweiz und in Europa haben wir den Höchststand bereits erreicht. In Deutschland beispielsweise dürfte die Inflation im kommenden Jahr stark zurückgehen», meint Marc Brütsch. Nur in Amerika seien die Aussichten etwas schwieriger. «Aber auch in den USA rechnen wir damit, dass die Inflation unter Kontrolle bleibt.»
Der Swiss-Life-Chefökonom glaubt, dass die Pandemie für die Märkte in den Hintergrund rücken wird. «Die Halbzeitwahlen in Amerika und der US-Handelsstreit in China werden zwei der dominierenden Themen sein», prognostiziert er.
Welche Branchen profitieren?
In diesem Umfeld gibt es einige vielversprechende Branchen. «Zum Beispiel der Finanzsektor ist im kommenden Jahr interessant, sollten die Zinsen tatsächlich wie erwartet ansteigen», sagt Hechler-Fayd'herbe. Auch die Rohstoffbranche könne mit einer hohen Inflation und steigenden Zinsen gut umgehen.
Weniger erfreulich sind kurzfristig die Aussichten für die angeschlagene Reisebranche. «Im ersten Quartal dürfte es wegen der Omikron-Variante erneut schwierig werden», meint Hechler-Fayd'herbe. Langfristig sieht sie jedoch bei Airlines, Kreuzfahrtschiffe und Co. Nachholpotenzial.