Gefährlich, nutzlos oder doch gesund?
Der Vitaminwasser-Hype und seine Auswüchse

Grosskonzerne, lokale Hersteller, Influencer: Sie alle kämpfen um einen Platz im Vitaminwasser-Regal. Teilweise auch mit problematischen Mitteln. Doch sind die Trendgetränke überhaupt so gesund, wie sie tun?
Publiziert: 02.06.2024 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2024 um 19:11 Uhr
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Der Regalplatz wächst und wächst: Die Vitaminwasser sind im Trend.
Foto: Cécile Rey
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Vitaminwasser können gefährlich sein. Zum Beispiel, wenn sie mit unbedarften Mitteln beworben werden. Etwa mit einem Geldabwurf. Der Regen an Zehnernoten im Wert von 24’000 Franken, der vor drei Wochen auf die Zürcher Chinawiese prasselte, diente als Marketing-Aktion für das Schweizer Getränke-Start-up Vyte. Im Gedränge wurde ein 12-Jähriger mit einem Messer am Bauch verletzt.

Mit Vyte oder Prime – dem Sportdrink der beiden Youtube-Stars Logan Paul und KSI – drängen auch Influencer in den umkämpften Markt der Lifestyle-Getränke. Die Produkte tragen Namen wie «Recharge», «Active» oder «Care». Und suggerieren, dass dem Körper etwas Gutes getan wird.

Gesundheitlich fragwürdig, wirtschaftlich lukrativ

Doch ist dies auch so? Ernährungsexperten stellen die Wirkung solcher Vitaminpräparate schon länger infrage. Ohne nachgewiesene Mangelerscheinungen sind sie oft nutzlos – oder gar gesundheitsgefährdend. «Aus der Forschung wissen wir, dass Ergänzungsmittel gewisse Krebsarten oder Nierenkrankheiten fördern können», sagt der Ernährungsmediziner David Fäh (50). Zudem würde mit dem Konsum solcher vitaminisierter Produkte die Kontrolle über die Menge aufgenommener Nährstoffe verloren gehen.

Deshalb betrachtet Fäh Vitaminwasser nicht als empfehlenswert: «Ich rate davon ab, diese zu konsumieren.» Neben den teilweise sehr hohen Vitamindosierungen enthalten die Getränke auch viel Zucker oder Süssungsmittel. Beides könne bei einem hohen Konsum das Diabetesrisiko steigern. «Das Interessante ist, dass Getränke, die mit Zuckerersatz gesüsst sind, oft gleiche oder sogar schwerwiegendere Folgen für die Leber haben.»

Aus wirtschaftlicher Sicht ergibt die Flut an Vitamin-Drinks aber Sinn, sagt Fäh. «Sie sind ein Bombengeschäft.» Das bestätigt ein Blick auf die Zahlen: Laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen ist der Markt für funktionales Wasser in der Schweiz zwischen 2020 und 2022 um 55 Prozent gestiegen.

Auch einheimische Hersteller mischen gross mit

Dies zeigt sich auch im Detailhandel. Der Absatz der funktionalen Getränke wächst, wie Migros und Coop auf Anfrage bestätigen. Und laut Swissdrink, der Dachorganisation von rund 300 Getränkefachmärkten und Grossisten, ist der Absatz im Grosshandel 2023 um beinahe 10 Prozent gestiegen – Spitzenwert. In der gleichen Zeit verloren die klassischen Süssgetränke an Boden.

Neben den Branchenriesen Vitamin Well und Coca-Cola mischen auch einheimische Unternehmen gross mit. Die Rivella-Gruppe nennt sich stolz die Nummer eins. Sie konnte ihren Umsatz im vergangenen Jahr insbesondere dank der Marke Focuswater um 4,3 Prozent auf 138 Millionen Franken steigern.

«Der Markt ist explodiert», sagt Sandro Gassmann. «Und es kommen immer mehr Hersteller dazu.» Der 38-Jährige gehört zu den aufstrebenden Playern im Vitaminwasser-Markt. Mit seiner Zürcher Firma produziert er kaltgepresste Fruchtsäfte und -getränke für die Gastronomie und den Detailhandel.

«Bei gewissen Stoffen gibt es einen chronischen Mangel»

Dass die funktionalen Wasser bei den Konsumentinnen und Konsumenten ankommen, ist für Gassmann Ausdruck einer unausgeglichenen Gesellschaft. «Alles wird immer schneller. Viele sind deprimiert und gestresst. Produkte, die wir jeden Tag zu uns nehmen, können da einen spürbaren Unterschied ausmachen.»

Gassmanns Firma sucht ihre eigene Nische. Statt ungekühlter Multivitamin-Wasser stellt sie ihr Vitamingetränk mit frischen, kaltgepressten Fruchtsäften her. «Wir versuchen, so nahe an der Natur zu bleiben, wie es geht.»

Dafür sind die Mono-Getränke – im Unterschied zu deren der Grosskonzerne – nicht ungekühlt haltbar. Für den grossen Expansionskurs sei dies eine Herausforderung. «Wir sind David gegen mehrere Goliaths», sagt Gassmann. «Es geht nicht nur um die Produktqualität und den besten Preis, sondern vermehrt darum, wer seine Produkte mit dem grössten Werbebudget in den Markt drücken kann.»

Gassmann ist überzeugt, dass seine Firma mit Qualität punkten kann, die bei den Grossen durch kostenoptimierte Marktmacht ersetzt wurde. «Man kann seinen Körper mit Diesel tanken, oder man wählt das Rennbenzin.»

Zur Kritik an den Getränken kontert er: «Es gibt viele Studien, die bei gewissen Stoffen einen chronischen Mangel in der Gesellschaft nachweisen.» Etwa beim Vitamin D oder Magnesium. Da würden Produkte helfen, die spezifisch auf diese Mängel abzielten. Besonders, wenn sie so zusammengesetzt sind, dass die Stoffe auch wirklich vom Körper aufgenommen werden könnten.

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