«Wenn man mal draussen ist, hat man keine Chance mehr»
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Mieterin wird angelogen:«Wenn man mal draussen ist, hat man keine Chance mehr»

«Der Eigenbedarf war vorgeschoben, um mich loszuwerden»
Vermieter schmeisst Patricia Kunz (54) nach 20 Jahren mit unfairen Mitteln raus

Patricia Kunz musste nach 20 Jahren ihr Heim verlassen, weil der Eigentümer angab, ihre Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung für sich selbst zu brauchen. Nun lebt dort ein junger Mann, der mit dem Vermieter weder verwandt noch verschwägert ist. Laut Mieterverband kein Einzelfall.
Publiziert: 10.12.2023 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2023 um 11:58 Uhr
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Mieterin Patricia Kunz (54): «Der Eigenbedarf war nur vorgeschoben, um mich loszuwerden.»
Foto: Philippe Rossier
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die meisten Strassen in Buttisholz LU liegen bereits im Schatten. Auf dem Balkon der Dachwohnung, in der früher Patricia Kunz wohnte, könnte man jetzt noch die Sonne geniessen. «Ich habe diese Wohnung geliebt», sagt die 54-Jährige wehmütig.

Mehr als 20 Jahre lang hat Kunz in der 2,5-Zimmer-Wohnung gelebt, von 1999 bis 2021. Dann wurde ihr gekündigt, weil ihr Vermieter, Markus Z.*, Eigenbedarf geltend machte.

«Herr Z. plant, seinen Lebensabend immer mehr in Gran Canaria zu verbringen, und wird deshalb zukünftig nur noch maximal zwei bis drei Monate im Jahr in der Schweiz sein», hiess es im Kündigungsschreiben. Dazu benötige er nicht mehr seine aktuelle 4,5-Zimmerwohnung in Sursee LU, die dafür viel zu gross sei. «Herr Z. plant, diese Wohnung ab Herbst zu vermieten oder zu verkaufen und stattdessen in die wesentlich kleinere 2,5-Zimmer-Wohnung (...) in Buttisholz zu ziehen.»

«Der Eigenbedarf war nur vorgeschoben»

Der Brief vom April 2021 liegt SonntagsBlick vor. Verfasst hat ihn die HEV Immo AG Luzern – ein Tochterunternehmen des Hauseigentümerverbands Luzern – im Auftrag von Z.

Ursprünglich wollte Kunz die Kündigung juristisch anfechten. Sie kannte Z. persönlich und konnte sich nicht vorstellen, dass er in ihre bescheidene Wohnung zieht. Kurz vor der Verhandlung bei der Schlichtungsbehörde verzichtete sie aber darauf: «Das Ganze hat mich emotional stark belastet. Ich hatte deshalb keine Lust und keine Energie für einen Rechtsstreit.»

Ende Juli 2021 verliess die Mieterin ihr Heim schweren Herzens – um wenige Wochen später aus der Nachbarschaft zu erfahren, dass Z. die freigeräumte Wohnung gar nie übernommen hat. Stattdessen zog am 1. September ein junger Mann ein, der wie Kunz stark in der Region verankert ist. «Der Mann ist mit meinem ehemaligen Vermieter weder verwandt noch verschwägert – und er lebt bis heute in der Wohnung», so Kunz. Für sie ist klar: «Der Eigenbedarf war nur vorgeschoben, um mich loszuwerden.»

Vermieter ärgerte sich, weil Mieterin Forderung stellte

Laut Carlo Sommaruga (64), Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (MV), kommt es «immer wieder vor, dass Vermieter zu Unrecht Eigenbedarf vorschieben, um einen Mieterwechsel zu erzwingen». Dies vor allem in städtischen Gebieten, wo die Gefahr, aufzufliegen, gering sei. Sommaruga: «Um keinen Verdacht zu erwecken, machen die Eigentümer oft eine kleinere Renovation. Und dann wird die Wohnung wieder vermietet – zu einem deutlich höheren Preis.»

Ob die Miete auch im Fall von Patricia Kunz stieg, ist unbekannt. Der Vermieter wollte sich gegenüber SonntagsBlick nicht äussern. Klar ist, dass Z. seit Sommer 2020 auf seine langjährige Mieterin nicht mehr gut zu sprechen war. «Er hat sich sehr geärgert, dass ich wegen des gesunkenen Referenzzinssatzes eine Mietzinsreduktion einforderte», sagt Kunz.

Im folgenden Februar erhielt Kunz eine «Aufforderung zur Einhaltung der Rücksichtnahme- sowie Sorgfaltspflicht». Bemängelt wurde, sie habe ihr Auto an freien Tagen nicht in der Tiefgarage parkiert, sondern auf dem Kundenparkplatz eines Coiffeurgeschäfts, zudem «missbrauche» sie das Treppenhaus für die Lagerung von Schuhen, Ski und Skischuhen.

Hauseigentümer wollen Kündigungen erleichtern

Das Schreiben endete mit einer unmissverständlichen Drohung: «Sollten Sie sich wider Erwarten nicht an unsere Aufforderung halten, sehen wir uns leider gezwungen, Ihnen das Mietverhältnis (...) zu kündigen.» Zwei Monate später wurde die Kündigung Tatsache – allerdings nicht wegen persönlicher Gegenstände im Treppenhaus, sondern wegen angeblichen Eigenbedarfs.

Der Hauseigentümerverband Schweiz (HEV) äussert sich nicht zu diesem Fall, hält jedoch das Risiko von missbräuchlichen Kündigungen für «äusserst gering». Eine Sprecherin: «Jeder Vermieter weiss, dass die Kündigung kostenlos angefochten werden kann und der Eigentümer in einem solchen Fall das Bestehen des geltend gemachten Eigenbedarfs dartun muss.»

Hauseigentümer klagen ihrerseits seit Jahren darüber, dass es in der Praxis oft schwierig und langwierig sei, bis eine Kündigung wegen Eigenbedarf vollzogen sei. In der Herbstsession brachte die Immobilienlobby eine Gesetzesänderung ins Ziel, die entsprechende Kündigungen und die Verfahren bei Streitigkeiten erleichtern soll.

Das neue Mietrecht kommt vors Volk

Das Parlament hat in der Herbstsession Anpassungen des Mietrechts zugunsten von Eigentümern beschlossen. Künftig sollen sie bei der Untervermietung von Räumlichkeiten mehr zu sagen haben – und in Fällen von Eigenbedarf schneller in den Besitz
des Mietobjekts gelangen. Neu soll eine Kündigung der Mieträumlichkeiten nicht mehr ausschliesslich bei einem «dringenden» Eigenbedarf des Besitzers möglich sein, sondern auch dann, wenn der Eigentümer -«einen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf» geltend machen kann.

Die Befürworter dieser Änderung erhoffen sich davon schnellere Verfahren bei Streitigkeiten. Der Mieterinnen- und Mieterverband aber will diese Anpassungen nicht hinnehmen. Vergangene Woche gab er bekannt, genügend Unterschriften für ein Doppel-Referendum beisammenzuhaben – landesweit lägen jeweils 60 000 Unterschriften vor. Einreichen will der Verband sie aber erst im Januar.

Das Parlament hat in der Herbstsession Anpassungen des Mietrechts zugunsten von Eigentümern beschlossen. Künftig sollen sie bei der Untervermietung von Räumlichkeiten mehr zu sagen haben – und in Fällen von Eigenbedarf schneller in den Besitz
des Mietobjekts gelangen. Neu soll eine Kündigung der Mieträumlichkeiten nicht mehr ausschliesslich bei einem «dringenden» Eigenbedarf des Besitzers möglich sein, sondern auch dann, wenn der Eigentümer -«einen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf» geltend machen kann.

Die Befürworter dieser Änderung erhoffen sich davon schnellere Verfahren bei Streitigkeiten. Der Mieterinnen- und Mieterverband aber will diese Anpassungen nicht hinnehmen. Vergangene Woche gab er bekannt, genügend Unterschriften für ein Doppel-Referendum beisammenzuhaben – landesweit lägen jeweils 60 000 Unterschriften vor. Einreichen will der Verband sie aber erst im Januar.

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