Trinkgeld ist eine gutmütige Sache: Zufriedene Gäste runden grosszügig auf. Bezahlen sie bar, landet das Geld direkt in der Tasche der Serviceangestellten. In einigen Lokalen erhalten auch die Köche ihren Anteil. In der Buchhaltung der Gastrobetriebe taucht der Zustupf nie auf. Trinkgeld wird somit oft zu Schwarzgeld. Und hier liegt das Problem begraben, das jetzt wieder aufkeimt.
Schätzungsweise eine Milliarde Franken Trinkgeld erhalten Gastroangestellte in der Schweiz jährlich. Das Geld müssen sie weder versteuern, noch werden darauf Abzüge erhoben. Das könnte sich aber ändern. Denn die Gäste zahlen immer häufiger mit Kreditkarte oder Bezahl-App. Und damit taucht das Trinkgeld plötzlich in der Buchhaltung auf. Bis anhin wird dieser Umstand von vielen Restaurants ignoriert. Und auch die Behörden hat das Thema wenig interessiert – sehr zur Freude der Angestellten.
Dabei sagt das Steuergesetz, dass Trinkgelder als Einkommen gelten und auf den Lohnausweis gehören, sobald sie einen wesentlichen Teil des Lohns ausmachen. Gemäss Arbeitsrechtlern beträgt die Schwelle zehn Prozent des Gehalts.
Bis im Herbst fällt der Entscheid
Jetzt handelt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, will das BSV spätestens im Herbst entscheiden, wie es weitergehen soll. «Angesichts der aktuellen Entwicklungen insbesondere im Bereich der elektronischen Zahlungsmittel stellen sich neue Fragen der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben», erklärt Mediensprecher Harald Sohns gegenüber der Zeitung.
Falls die Richtlinien tatsächlich verschärft werden, könnten Trinkgelder vermehrt dem Lohn zugerechnet werden. Die Folgen: höhere Sozialabgaben und Steuern. Dem gegenüber steht der Vorteil, dass die Angestellten besser gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit abgesichert und später eine höhere Rente erhalten würden.
Der Branchenverband Gastro Suisse hat keine Freude an dieser Diskussion – öffentlich hält man sich noch zurück: Die Abgabe eines Trinkgelds sei eine «freiwillige Angelegenheit zwischen dem Gast und dem Mitarbeitenden», sagt Sprecher Patrik Hasler-Olbrych auf Blick-Anfrage. «In der Praxis wird das Trinkgeld als Geste der Wertschätzung vor allem dann gewährt, wenn damit eine besondere Aufmerksamkeit oder eine zusätzliche Dienstleistung anerkannt werden soll.»
«Wäre schlimm für Gastronomen, Angestellte und Kunden»
Deutlicher wird der Zürcher Stadtgastronom Florian Weber (39). Er führt gemeinsam mit Michel Péclard (56) die Pumpstation Gastro GmbH in Zürich mit insgesamt 15 Lokalen in und um die Stadt Zürich. «Wenn das Trinkgeld neu versteuert werden muss und eine AHV- sowie BVG-Pflicht entsteht, wäre das sehr schlimm. Für uns als Gastronomen, aber auch für die Angestellten und die Kunden.»
Aus Arbeitgebersicht würden neben einem zusätzlichen administrativen Aufwand auch höhere Kosten entstehen. «Wenn wir die Hälfte der Sozialabgaben auf das Trinkgeld übernehmen, von dem wir als Betrieb nichts haben, dann entsteht ein beträchtlicher finanzieller Mehraufwand für die Gastronomen», gibt Weber zu bedenken. «Ein Teufelskreis – die Mitarbeitenden würden einen höheren Lohn einfordern, und wir müssten die Preise erhöhen, was letztlich die Kunden trifft.»
«Viele Angestellte sind auf Trinkgeld angewiesen»
Weber sieht auch die Gefahr, dass die guten Mitarbeitenden die Branche verlassen könnten. «Ebenfalls ein Teufelskreis», sagt er. Denn damit könnte die Servicequalität sinken – wiederum ein heikles Thema aus Kundensicht. «Viele Angestellte in der Gastronomie sind auf Trinkgeld angewiesen», hält Weber fest.
Sollten die verschärften Regeln im Herbst beschlossen werden, könnten die Betriebe Trinkgeld gänzlich verbieten – oder den Zustupf nur noch in bar annehmen, gibt er zu bedenken. Weil die grosse Mehrheit der Kunden mittlerweile digital bezahlt, würde viel weniger Geld an die Angestellten fliessen. «Wir warten mal den Sommer ab», sagt Weber. Ein Entscheid, wie die Pumpstation Gastro GmbH auf die neuen Vorschriften reagieren würde, sei noch nicht gefallen.