Auf einen Blick
Ausverkauf bei Bialetti. Die nebelverhangenen Strassen in Coccaglio (I) sind leer, ein erdiger Kaffeegeruch kündigt das Geschäft um die Ecke an. Zum halben Preis gibts die Moka-Express hier, einen Espresso-Kocher aus Aluminium. In Reih und Glied stehen die Kannen in den Regalen – die Bialetti-Männchen, die die Moka als Logo zieren, strecken ihre Finger nach oben.
Michaela und Claudia sind stolz, hier zu arbeiten. In Michaelas eigener Küche ist alles von Bialetti, erzählt sie. Der Wasserkocher, die Pfannen und der Kaffeekocher. Aber selbst sie nutzt die Moka-Express nicht mehr. «Aus der Kapsel ist der Kaffee cremiger. Und es geht einfach schneller. Irgendwie ist man ja immer in Eile.»
Kultobjekt unter Druck
Bialetti ist eine italienische Kultmarke. Die Mokas stehen in unzähligen Küchen überall auf der Welt. Über dem Unternehmen hängt aber ein Damoklesschwert: Bis zum 30. April 2025 muss es einen Käufer finden, um seine Schulden zurückzuzahlen. In Coccaglio, dieser Kleinstadt nahe Brescia, befindet sich der Hauptsitz von Bialetti, nur einige Meter neben dem Geschäft. Derzeit werden Verhandlungen mit verschiedenen potenziellen Investoren geführt, bestätigt das Unternehmen auf Anfrage. Unter anderem mit der Firma Nuo Capital aus Hongkong.
So wie Michaela trinkt inzwischen auch die Welt ihren Kaffee per Knopfdruck aus der Kapsel. Seit Jahren wächst der Kapselmarkt, auch in Italien. «Der Siegeszug des Kapselsystems kommt eigentlich aus der Schweiz», sagt Björn Ambos, Professor für Strategisches Management an der Universität St. Gallen. «Die Kapselmaschinen von Multis wie der Schweizer Marke Nespresso haben sich bei den Konsumenten durchgesetzt.» Da reicht der Kultstatus kaum, um das Unternehmen über Wasser zu halten.
Hip dank Netflix?
Giuliano (58) verlässt gerade den Bialetti-Laden. Er hat vom Rabatt profitiert und sich einen roten Wasserkocher und eine Moka zugelegt. «Es ist schade, wenn eine historische Marke ins Ausland verkauft wird», sagt er über die Verkaufsverhandlungen. Bialetti sei ein gewichtiges Unternehmen und weltweit bekannt. «Das ist eine Niederlage für Italien.»
Kampflos aufgegeben hat Bialetti nicht. 2010 ist das Unternehmen fast gezwungenermassen ins Kapselgeschäft eingestiegen. Daneben wurde ein Grossteil der Produktion nach Rumänien und in die Türkei ausgelagert. Und mit neuen Designs versucht man nun, die Jungen zu erreichen: Grelle Farben und Schriftzüge der Netflix-Serien «Squid Game» und «Bridgerton» zieren die Spezialeditionen des Kochers. Es wirkt wie ein etwas verzweifelter Versuch, wieder hip zu werden.
Aber das Unternehmen bleibt ein Sorgenkind: 2018 wurde Gläubigerschutz beantragt, die Firma ist hoch verschuldet. Darlehen leisteten kurzfristig Abhilfe, später waren erneut Hilfen nötig. Diese Kredite kann Bialetti nun nicht mehr zurückzahlen.
Wenn bis zum Ablauf der Frist kein Käufer gefunden wird, will Bialetti im Rahmen einer Refinanzierung bestehende Schulden durch neue Kredite ablösen. «Dann muss das Unternehmen im schlimmsten Fall Konkurs anmelden», so Ambos. «Denn Geld hilft zwar kurzfristig, aber es braucht eine gute Strategie, um vorwärtszukommen. Wenn Sie Zahnschmerzen haben, hilft Aspirin schon, aber das eigentliche Problem ist nicht gelöst.»
Symbol eines Niedergangs
Bialetti ist nur das letzte Opfer vom Ausverkauf Italiens. Klingende Namen wie Bulgari, Parmalat, Ferretti oder Pirelli wurden ins Ausland verscheppert, ein grosser Teil nach China oder Hongkong.
Die Marken waren einst Aushängeschilder des Landes, das kratzt am nationalen Selbstbewusstsein. Verantwortlich gemacht werden die italienische Industriepolitik und eine schwächelnde Wirtschaft. «Wenn es der Wirtschaft nicht gut geht, dann werden Firmen angreifbar für Investoren», so Ambos. «Nuo Capital ist spezialisiert auf italienische Luxusmarken, um ihre internationale Expansion voranzutreiben.» Eine solche Übernahme könne auch positiv sein: «Neben Geld können sie auch neue Kompetenzen bringen.»
In der Bar regiert die Maschine
In der Bar Castello in Coccaglio tuckert die Siebträgermaschine. Drei Männer spielen Karten, angesprochen auf den Verkauf Bialettis mögen sie kaum den Blick von ihren Decks heben. Mario (72) und Festa (78) stehen beim Eingang. Ihnen ist der Verkauf einerlei. Für sie findet der Kaffee nicht zu Hause statt, sondern in der Bar. «Ich habe noch nie eine Bialetti gehabt. Den Kaffee in der Bar zu trinken, ist mir wichtiger», sagt Festa.
Klar, Bialetti sei eine schöne Marke, findet Mario. Ob sie italienisch oder eben chinesisch ist, sei ihm egal. Ein jüngerer Freund von Mario bekräftigt: «Es ist mir egal, ob ich morgens ein Cornetto oder ein Spiegelei esse. Hauptsache, ich esse.»
Ein paar Meter nebenan, in der Bar Zucca: Ornella (47) serviert ihren Gästen Kaffee, ebenfalls aus der Siebträgermaschine. Hinter ihr versucht jemand sein Glück am Spielautomaten. Sicher doch stehe bei ihr zu Hause eine Bialetti. Benutzen tut die Moka allerdings nur noch ihr Vater, sie trinkt ihren Kaffee hier.
Ob das Bialetti-Männchen in Coccaglio zu Hause bleibt oder nicht: Für die Bewohner werden die Kaffeemaschinen in der Bar weiterrattern.