Die Schweiz wächst und wächst. Die 10-Millionen-Schweiz kommt immer näher. Mit diesem Trend werden immer mehr Gemeinden zu Städten. Eine Entwicklung, die sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Blick ordnet mit dem Arbeitsmarktexperten Michael Siegenthaler (38) von der KOF-Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich ein und zeigt auf, wann das zu einem Problem werden könnte.
«Den Prozess der Verstädterung gibt es schon ewig, und er beeinflusst den Arbeitsmarkt», sagt Siegenthaler. Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik bestätigen den Trend und zeigen auf, mit welcher Geschwindigkeit die Verstädterung voranschreitet: In den letzten zehn Jahren sind zehn Gemeinden zu Städten herangewachsen.
Kategorisiert man die Gemeinden nicht nach Einwohnerzahlen, sondern nach Dichte und Wirtschaftsstruktur, ergeben sich noch aussagekräftigere Zahlen. Lediglich 14 Prozent der Bevölkerung wohnen gemäss dieser Typologie in einer ländlichen Gemeinde. Nur gerade 9 Prozent arbeiten in einer solchen. Die städtischen Teile dienen 65 Prozent als Wohnort und sogar 76 Prozent als Arbeitsort.
Unternehmen ziehen in die Städte
Doch wieso arbeiten so viele Schweizerinnen und Schweizer in Städten? «Die höheren Löhne sind bestimmt ein Pluspunkt für Arbeitnehmende», meint Michael Siegenthaler. Für ihn ist aber auch die betriebswirtschaftliche Ausgangslage interessant. «Eine wichtige Frage ist, wieso sich die Firmen zentralisieren und ihre grossen Standorte in den Städten aufbauen.»
So eröffnet Google seinen Standort also lieber im Stadtzentrum von Zürich – trotz hohen Mieten und Löhnen – als auf dem Land. Es scheint, als ob gut ausgebildete Mitarbeitende in der Stadt einfacher zu finden seien.
Der Stadt-Land-Graben auf dem Arbeitsmarkt
Hat die Schweiz bald mit einer Zweiklassengesellschaft zu kämpfen? Auf der einen Seite die gut verdienenden Angestellten in der Stadt, auf der anderen die Schlechtergestellten auf dem Land. «Es gibt sicher die Tendenz, dass die Beschäftigungschancen und die Möglichkeiten für einen guten Lohn in der Stadt höher sind», sagt der Arbeitsmarktexperte. «Die Schweiz ist aber kleinräumig. Es ist also gut möglich, in der Stadt zu arbeiten und gleichzeitig auf dem Land zu wohnen.»
Diese Arbeitnehmer investieren so auch in die ländlichen Gegenden, beispielsweise mit höheren Steuerabgaben. Darum ist die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft noch nicht so akut.
Die USA als schlechtes Beispiel
Trotzdem warnt Siegenthaler, denn die Verstädterung kann durchaus zu Problemen führen. «Aus arbeitsmarktlicher Sicht wäre es problematisch, wenn es Regionen gibt, in denen die Löhne sinken und dadurch die dortige Landbevölkerung nicht am Wachstum partizipiert.» Ein Phänomen, das in den USA beobachtet wird. Es gibt Bundesstaaten, wo das reale Einkommen heute deutlich tiefer ist als vor 25 Jahren.
«Wenn sich die Fortschritte nur auf die Silicon Valleys der Schweiz beschränken würden, bietet das soziales Sprengpotenzial», meint Siegenthaler. Zurzeit haben wir noch keine Zustände wie in Amerika. Und die Schweiz tut gut daran, das auch weiterhin zu verhindern.