Je näher die Pensionierung rückt, desto mehr Sorgen macht sich manch einer um seine Stelle. Und das nicht ohne Grund: Wer mit 60 Jahren seinen Job verliert, wird mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit über ein Jahr lang arbeitslos sein. Das zeigt ein Bericht der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH. Zudem verdient, wer zwischen 55 und 60 Jahren mindestens ein Jahr arbeitslos war, später deutlich weniger: Im Schnitt beträgt die Lohneinbusse über 60 Prozent.
Die Politik hat erkannt, welches Sprengpotenzial die Problematik der älteren Arbeitnehmenden bietet. Bund, Kantone, Arbeitgeber und Gewerkschaften tauschen sich seit sechs Jahren regelmässig zum Thema aus. Doch nun steht der sogenannte runde Tisch, der morgen erneut stattfindet, vor dem Aus. Darauf lässt zumindest die Einladung schliessen, die das Wirtschaftsdepartement (WBF) an die Teilnehmer versandt hat – zur Empörung der Gewerkschaften.
Die Lage für ältere Arbeitnehmende sei prekär, sagt Daniel Lampart (53), Chefökonom beim Gewerkschaftsdachverband SGB. So sei der Anteil der über 55-jährigen bei den Langzeitarbeitslosen in jüngerer Zeit deutlich gestiegen. «Ein grosser Teil der älteren Arbeitslosen ist länger als ein Jahr ohne Arbeit.»
Es braucht weitere Verbesserungen
Gleichzeitig gebe es im Bundesrat Sympathien für die Rentenalter-Initiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter noch erhöhen würde, kritisiert Lampart. «Vor diesem Hintergrund ist klar: Es braucht den runden Tisch weiterhin, eine Abschaffung kommt nicht infrage.» Vielmehr brauche es weitere Verbesserungen der Lage bei den älteren Arbeitnehmenden. Ein besonderer Kündigungsschutz für langjährige Mitarbeitende über 50 Jahre zum Beispiel sowie «mehr Branchenlösungen mit Frühpensionierungen».
Aus Sicht der Gewerkschaften ist der runde Tisch eine Erfolgsgeschichte: Daraus ist etwa die Überbrückungsleistung hervorgegangen, dank der ausgesteuerte Arbeitslose ab 60 Jahren bis zum Bezug ihrer Pension eine Notrente beziehen können. Weitere Massnahmen, etwa ein Impulsprogramm für ältere Arbeitslose, sollen ebenfalls helfen, einen Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern.
Valentin Vogt (61), Präsident des Arbeitgeberverbands, hält den runden Tisch ebenfalls für eine gute Sache. Es sei gut, dass man die Probleme angepackt habe, die ältere Arbeitnehmende betreffen. Aber: «Ich finde es wichtig, dass man die Massnahmen jetzt zuerst einmal wirken lässt und beobachtet, was sie bewirken.» Den Entscheid, den runden Tisch vorerst nicht weiterzuführen, begrüsse er daher.
«Stehe im internationalen Vergleich gut da»
Falls die Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmenden stark zunehme, könne man erneut eine nationale Konferenz zum Thema durchführen, meint Vogt. «Überdies steht die Schweiz im internationalen Vergleich weiterhin sehr gut da: Die Erwerbsteilnahme der älteren Bevölkerung in der Schweiz am Arbeitsmarkt ist überdurchschnittlich hoch.»
Auch gingen derzeit sehr viele Babyboomer in Pension, weshalb den Unternehmen in zehn Jahren eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen würden; darüber hinaus habe die Wirtschaft nach der Pandemie stark zugelegt. «In Kombination mit den ergriffenen Massnahmen wird das die Situation bei den älteren Arbeitnehmenden entschärfen», ist Vogt überzeugt.
Auch ein höheres Rentenalter hält der Unternehmer für keine schlechte Sache: «Nur schon, um den Wohlstand in unserem Land zu erhalten, werden wir mittelfristig nicht umhinkommen, länger zu arbeiten.»
Was zeigt: Anders als bei der Überbrückungsrente liegen die Positionen von Gewerkschaften und Arbeitgebern beim Rentenalter so weit auseinander wie eh und je. Daran dürfte auch der sechste runde Tisch nichts ändern.
Ob dieser tatsächlich zum letzten Mal stattfindet, lässt das Wirtschaftsdepartement auf Anfrage offen; ein Ende will man nicht bestätigen. Ein Sprecher verweist stattdessen auf die geplante Medienkonferenz von morgen Montag.