Die Schweiz wartet auf die Wand. So nennen Experten die für Omikron typische Infektionskurve. Weil die neue Corona-Variante so hoch ansteckend ist, verlaufen die Fallzahlen nicht in Wellenform, sondern schiessen gleich zu Beginn fast senkrecht in die Höhe.
«Omikron stellt alles in den Schatten, was wir bisher in der Pandemie gesehen haben», warnte der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach in seiner gewohnt schonungslosen Art. Die Taskforce des Bundes rechnet schon in zwei Wochen mit über 20'000 Neuansteckungen pro Tag. Das wären mehr als doppelt so viele wie in den letzten Tagen.
Zwar verdichten sich die Hinweise, dass Omikron zu milderen Verläufen führt als vorherige Varianten. Weil aber sehr viele Menschen auf einmal erkranken können, stehen sowohl Spitäler als auch andere Bereiche der Grundversorgung vor einem Stresstest.
Ausfälle kritischer Infrastruktur möglich
Jetzt warnt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) vor Ausfällen in der kritischen Infrastruktur des Landes. Darunter fallen systemrelevante Dienstleistungen wie Polizei, Feuerwehr, Strom-, Wasser- und Lebensmittelversorgung oder die Telekommunikation und der öffentliche Verkehr.
Sandra Walker, Sprecherin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, sagt: «Es ist damit zu rechnen, dass weiteres Personal krankheits- oder quarantänebedingt ausfallen könnte und der Betrieb nicht im gewohnten Umfang aufrechterhalten werden kann.» Besonders gross sei das Risiko, wenn Schlüsselpersonal im Gesundheitswesen, im Bereich der Energie- und Lebensmittelversorgung und in den jeweiligen Zulieferbetrieben ausfalle.
Bereits vor einer Woche schreckte eine Stellungnahme des Corona-Expertenrats der deutschen Bundesregierung auf. Die Fachleute warnten vor erheblichen Störungen in der kritischen Infrastruktur: «Sollte sich die Ausbreitung der Omikron-Variante in Deutschland so fortsetzen, wäre ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt oder in Quarantäne.» Dadurch käme es zu einer «extremen Belastung» der kritischen Infrastruktur.
Dass dieses Szenario auch für die Schweiz gilt, macht Babs-Sprecherin Sandra Walker klar: «Unsere Einschätzung deckt sich mit derjenigen des deutschen Corona-Expertenrats.»
Rüsten für den Omikron-Schock
Kein Wunder, ist beim Bund Hektik ausgebrochen. Die zuständigen Stellen besprechen die Situation laufend – das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, das Bundesamt für Gesundheit und das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung. «Die Lage wird regelmässig analysiert, um dem Bundesrat, falls nötig, Massnahmen zu unterbreiten», so Babs-Sprecherin Walker.
Omikron beschäftigt auch die Armee. «Die Situation macht uns ebenfalls Sorgen», sagt Armeechef Thomas Süssli im Interview mit dem SonntagsBlick. Man sei aber gut aufgestellt. «Wir haben eine Führungsstruktur, die eine massgeschneiderte Mobilmachung ermöglicht. 72 Stunden nach dem Aufgebot sind die ersten Leute dort, wo sie gebraucht werden.» Die Kantone können bei der Armee ein Gesuch stellen, um militärische Unterstützung zu erhalten. Bedingung ist laut Süssli, dass die zivilen Mittel nicht mehr ausreichen.
An der Front rüsten sich die Betreiber der kritischen Infrastrukturen für den Omikron-Schock. Beim Telekomunternehmen Swisscom steht eine Taskforce in direktem Austausch mit den Behörden. «Wir verfügen über ein stufengerechtes Notfall- und Krisenmanagement», sagt Sprecherin Sabrina Hubacher. Detaillierte Angaben dazu will sie keine machen.
Piloten fallen aus
Auch im öffentlichen Verkehr laufen die Vorbereitungen. Ein Blick ins Ausland zeigt, was droht. Die Lufthansa hat bereits angekündigt, dass sie wegen Omikron nach Weihnachten 33'000 Flüge streicht. Schon jetzt fallen diverse Nordatlantikflüge aus, weil Piloten krank sind. «Wir haben mit einem sehr grossen Puffer geplant. Der reicht aber für die extrem hohe Krankenquote nicht aus», sagt ein Sprecher.
In Grossbritannien, wo Omikron bereits weitverbreitet ist, fiel in den letzten Tagen jeder zwanzigste Zug aus. Zehn Prozent aller Angestellten haben sich krankgemeldet. Was tun die SBB? Die Bundesbahnen halten sich bedeckt, versichern aber, dass man auf verschiedene Szenarien vorbereitet sei.
Konkreter wird die Post. Neben den üblichen Schutzmassnahmen haben die Verantwortlichen Massnahmen getroffen, damit man im Ernstfall schnell Personal rekrutieren könnte. Sprecherin Jacqueline Bühlmann: «Für das Worst-Case-Szenario sind wir im Rahmen einer Eventualplanung mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz in Kontakt, damit uns der Zivilschutz verstärken könnte.»
Migros gibt sich zuversichtlich
Gelassen zeigt man sich bei der Migros. «Ich denke, es braucht jetzt vor allem einen kühlen Kopf», sagt Marcel Schlatter von der Medienstelle. Man habe bewährte Schutzkonzepte. «Wir sind zuversichtlich, beobachten die Lage aber nüchtern-aufmerksam.»
Das Epizentrum der Krise bleibt das Gesundheitswesen. Viele Spitäler arbeiten aufgrund der Delta-Welle bereits an der Kapazitätsgrenze, Operationen werden verschoben. Und nun kommt Omikron. Noch weiss niemand, wie viele Patienten mit der neuen Variante tatsächlich auf der Intensivstation landen werden. Studienergebnisse der letzten Tage lassen hoffen: Omikron scheint deutlich seltener zu schweren Erkrankungen zu führen, als dies bei Delta der Fall ist.