Blick-Redaktorin Nathalie Benn (24) bewertet umstrittene Werbungen aus dem SRF-Archiv
«Ein Gruselkabinett für Feministinnen»

Wer denkt, Werbung war früher harmlos, wird hier eines Besseren belehrt. Von einer halb nackten Frau in der Käsewerbung bis zu orientalischen Maggi-Fantasien. Ein Streifzug durch die fragwürdigsten Werbeperlen der Schweizer TV-Geschichte.
Publiziert: 10:24 Uhr
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Aktualisiert: 10:26 Uhr
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Will am liebsten gar nicht hinsehen: Blick-Redaktorin Nathalie Benn.
Foto: Valerie Stoll
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Nathalie BennRedaktorin Wirtschaft

Vor sechzig Jahren strahlte das SRF den ersten kommerziellen Werbeblock der Schweizer Fernsehgeschichte aus. Geschlechterklischees ziehen sich durch fast alle Spots. Aber 1965 herrschten noch andere Zeiten – würde man meinen. Ein Blick ins Archiv von SRF zeigt, dass es auch in Werbefilmen aus diesem Jahrhundert Sexismus gibt.

Ich, Nathalie Benn, 24-jährig und Blick-Redaktorin, habe mir die Crème de la Crème der alten Werbespots angeschaut. Mit einer Portion Ironie und der Hilfe von Werbeexpertin Regula Bührer (46), die die verstaubten Spots einschätzt: Let's go!

1 Sex sells – manchmal auch Käse

Die Fondue-Werbung von Gerber vom Oktober 2000 beginnt mit nackten Frauenbeinen. In Nahaufnahmen gleitet die Kamera zu ihren Hüften, dem Bauch, den Schultern. Der Blick auf mehr bleibt verwehrt – dank eines strategisch platzierten Caquelons. Wer hätte gedacht, dass flüssiger Käse und eine blutte Frau so viel gemeinsam haben? Offenbar die Macher dieses Spots.

Denn wo mancher vergebens einen logischen Zusammenhang sucht, haben sie schon längst begriffen: Fondue bewirbt man nicht mit dampfendem Gruyère oder geselligem Beisammensein, sondern mit einem Frauenkörper. Wer könnte einem Topf voll geschmolzenem Käse schon widerstehen, wenn er mit so viel makelloser Haut angepriesen wird? 

So warb Gerber früher für sein Fondue
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Nackte Haut und ein Caquelon:So warb Gerber früher für sein Fondue

Was sagt die Expertin dazu? Werbung sei heute weniger offen sexistisch, sagt Bührer, die 2010 und 2014 als Werberin des Jahres ausgezeichnet wurde. «Trotzdem bestehen Geschlechterstereotype subtil weiter.» So zeigt das Gislerprotokoll – eine agenturübergreifende Initiative, die jährlich eine Stereotypenanalyse durchführt – im letztjährigen Bericht, dass immer noch die Hälfte aller untersuchten Spots geschlechtertypische Vorurteile beinhalten. 

2 Aladdin und die Maggi-Sauce

Sex sells geht in die zweite Runde. Man nehme dazu eine Prise Exoten-Vorurteile und erhält: eine feine Maggi-Fertigsauce.

Aus der Wunderlampe steigt eine anmutige Gini, die sich mit starkem französischen Akzent durch ihre Dialogzeilen kämpft. Der letzte Wunsch unseres Helden: Nicht ewige Liebe mit der magischen Schönheit, sondern mehr von dieser verführerisch guten Maggi-Sauce! Die Gini – ausgestochen von einer Fertigsauce – zieht beleidigt ab. Klar, Frauen leben bekanntlich nur für männliche Aufmerksamkeit.

Gini wird von der Maggi-Sauce ausgestochen
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Dann zieht sie beleidigt ab:Gini wird von der Maggi-Sauce ausgestochen

Mir stellt sich die Frage, ob das holprige Schweizerdeutsch die Frau noch attraktiver wirken lassen soll. Für mich ist die Message eher: Hauptsache, sie spricht schlecht Deutsch – schliesslich ist sie ein exotischer Flaschengeist und gehört nicht wie der Protagonist zu uns Schweizerinnen und Schweizer. 

3 Abarth und die Femme fatale

Beim Thema Frauen und Autowerbung landet man auf dünnem Eis. Nicht umsonst hat Blick bereits die 15 sexistischsten Auto-Werbeplakate vorgestellt. Der italienische Autohersteller Abarth legt mit einem Werbespot aus 2012 (ja, 2012) nach.

Die Story beginnt mit einem Moment, den viele kennen dürften: Ein Mann gafft eine Frau auf der Strasse an. Es folgt eine Ohrfeige. Doch die Stimmung kippt schnell von empörter Selbstbestimmung zu manipulativer Verführung. Der Plot-Twist: Die Göttin in High Heels ist ein glänzender Neuwagen. 

Mich lehrt der Spot vor allem eines: Offenbar lässt Männer nichts schneller ihren Verstand verlieren als eine makellose Karosserie. Ob aus Fleisch oder Blech – egal! 

So wirbt Abarth 2012 für die neuen Auto-Modelle
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Heisser Flirt am Strassenrand:So wirbt Abarth 2012 für die neuen Auto-Modelle

Auch Bührer findet: «Über die Absurdität des Spots kann man heute lachen.» Trotzdem: Besonders gut gealtert ist er nicht. «Aus heutiger Sicht schüttelt man aber auch mit dem Kopf über die damalige Zeit», findet sie. 

4 So sieht Cailler die Frau der 80er

Ein Relikt aus dem Werbefernsehen ist die Cailler-Werbung für Frigor-Schöggeli von 1983. Eine Zeit, in der Frauen allmählich anfingen, sich aus der Hausfrauenrolle zu befreien – aber bitte nicht zu radikal.

Die Gattin kümmert sich aufopfernd um ihren arbeitenden Ehemann. Damit zu Hause immer ein warmes Znacht auf ihn wartet, besucht sie sogar einen Kochkurs. Und Frigor sagt: «Ich denk an dich.»

Dieser Spot flimmerte 1983 über die Bildschirme
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Für Frigor-Schöggeli:Dieser Spot flimmerte 1983 über die Bildschirme

Einen emanzipatorischen Aspekt hat der Spot immerhin: Die Frau verlässt das Haus! Aber nur, um noch besser kochen zu lernen. «Die Frau kümmert sich um ihren Mann, sogar, wenn sie selbst nicht da ist. Sicher ein Ideal der damaligen Zeit», kommentiert Werbeexpertin Bührer.

5 Claudia Schiffer (54), die «stille Geniesserin»

In der Jacobs-Werbung aus den 2000ern benutzt Schiffer statt Parfum einen Tropfen Kaffee. Der Duft ist so verführerisch, dass ihrem heissen Date nichts mehr im Wege steht. 

«Die Darstellung von Claudia Schiffer als stille Geniesserin verstärkt das Klischee, Frauen seien passive Bystander statt aktive, handelnde Protagonistinnen», sagt Bührer und wagt die Vermutung: «Auch Claudia Schiffer würde sich heute anders sehen wollen.»

«Stille Geniesserin» Claudia Schiffer in der Kaffee-Werbung
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In Kaffee-Werbung:Claudia Schiffer wird als stille Geniesserin dargestellt

Ersteres gilt übrigens für alle Schauspielerinnen in den Spots. Und wer jetzt denkt, das sei nicht so wild: Studien zeigen, dass stereotype Werbungen das Frauen- und Männerbild der Gesellschaft massgeblich prägen. «Die Geschlechterrollen werden dadurch, oft auch unterbewusst, verstärkt», bestätigt Bührer. «Werbung beeinflusst unser Selbstbild, die Berufswahl und das Selbstvertrauen, besonders bei jungen Mädchen.» Und: «Sie kann auch Männer in traditionelle Rollen drängen.»

6 Coca-Cola dreht den Spiess um

Als Letztes gibts für die Coca-Cola-Werbung von 1998 eine «honorable mention» – eine lobende Erwähnung. Denn der Fensterputzer-Spot war für seine Zeit revolutionär. «Die Werbung kehrt den ‹male gaze› (die Darstellung von Frauen aus einer männlichen, heterosexuellen Perspektive) erstmals um», sagt Bührer.

Er zieht in diesem Spot alle Blicke auf sich
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Coca-Cola-Werbung von 1998:Er zieht in diesem Spot alle Blicke auf sich

Eine Schar Frauen beobachtet genussvoll einen attraktiven Mann. Man möge sich vorstellen, die Rollen seien vertauscht. Was das nur für einen Aufschrei gäbe, liest man in der Kommentarspalte unter dem Youtube-Video. Aber genau das ist der Clou, sagt Bührer: «Mit Humor und Ironie spielt der Spot mit Geschlechterrollen und traf den Zeitgeist einer selbstbewussteren, weiblichen Zielgruppe.»

Mein Fazit

Nach dieser Zeitreise durch das SRF-Archiv bleibt festzuhalten: Die Grenzen zwischen nostalgischem Charme und verstaubtem Sexismus sind fliessend. Bührer sagts treffend – manche Spots sind so absurd, dass man heute darüber lachen muss. Für mich gabs zwar auch viele ungläubige Lacher, aber hauptsächlich das unbehagliche Gefühl, in einem Gruselkabinett für Feministinnen gelandet zu sein. 

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