Das Thema Wohnungsnot – oder etwas weniger dramatisch Wohnungsknappheit – steht auch in Bundesbern ganz oben auf der Agenda. Am kommenden Freitag, 12. Mai, ruft Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) die Akteure auf dem Wohnungsmarkt zu einem runden Tisch.
Was auffällt: Wissenschaft und Immobilienexperten sitzen nicht mit am Tisch, bringen sich mit ihren Vorschlägen im Vorfeld aber in Stellung. So das Immobilieninstitut Iazi, das einen 10-Punkte-Plan gegen die Wohnungsnot in die Diskussion einbringt. «Die Wohnungsnot ist selbstgemacht», sagt Iazi-CEO Donato Scognamiglio (53). Und ergänzt: «Wohnungsknappheit ist kein Naturgesetz. Sie kann durch eine Kursänderung behoben werden.»
Blick macht den Faktencheck und hat die 10 Iazi-Vorschläge Immobilienexperten vorgelegt. Christian Kraft (46), Leiter Kompetenzzentrum Immobilien an der Hochschule Luzern, und David Kaufmann (37), Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik an der ETH Zürich, helfen bei der Einordnung der nicht immer neuen, aber durchaus dringenden und teilweise provokanten Vorschläge.
Vereinfachte Baubewilligung dank Digitalisierung
Mit der digitalen Baubewilligung könnte das Verfahren bis zur Bauerlaubnis erheblich beschleunigt werden. In der Schweiz dauert es im Schnitt 140 Tage zwischen der Einreichung des Baugesuches und der Erteilung der Baubewilligung. Die digitalisierte Verwaltung in Estland braucht dafür 103 Tage.
Faktencheck: Eine Idee, die einiges bewegen könnte. Allerdings dürfte es dauern, bis die über 2000 Gemeinden in der Schweiz voll digitalisiert sind. Denn Baubewilligungen sind Gemeindesache.
Beschränkung der Einsprachen
Es brauche sinnvolle Regeln für Einsprachen der Nachbarn. Denn noch mehr als das Tempo bei Baubewilligungen verzögern diese den Bau.
Faktencheck: Die Einsprachen sind tatsächlich ein Problem. Viele Nachbarn überschätzen die negativen Folgen, wenn in ihrer Nachbarschaft gebaut wird. Oftmals geht es nur um Verhinderung. Vielen Menschen ist es wichtig, dass sozial und ökologisch gebaut wird. Dafür braucht es aber keine privaten Einsprachen, für die demokratische Legitimation genügen Abstimmungen über Grossprojekte.
Klare Regeln in der Raumplanung
Anstatt über jedes Projekt einzeln zu entscheiden, könnte eine regel- und prinzipienbasierte Zonenplanung das Bauen erleichtern. Der Vorteil: Wer sich innerhalb des regulatorischen Rahmens bewegt, bekommt für sein Projekt automatisch eine Bewilligung.
Faktencheck: Hier liegt ein grosser Hebel gegen die Wohnungsnot. Denn neue Regeln könnten die Rechtsunsicherheit vor allem auf Gemeindeebene beenden. Wichtig aber bleibt, dass die öffentliche Hand bei Grossprojekten mitreden kann.
Zonenplanung wie in Japan
Japan kennt nur 12 Planungszonen – und in jeder darf gebaut werden.
Faktencheck: Die Experten winken ab. Japan gilt als Extrembeispiel für einen liberalisierten Wohnungsmarkt. So eine Lösung hätte in der Schweiz keine Chance.
Verdichten und Aufstocken
Dabei geht es darum, den bestehenden Gebäudepark möglichst effizient zu nutzen. Ein Stockwerk mehr auf vielen Häusern kann in einer Stadt wie Zürich zu vielen neuen Wohnungen führen – ohne dafür einen zusätzlichen Quadratmeter Land zu verbrauchen.
Faktencheck: Wichtig ist, dass breitflächig aufgestockt wird, einzelne Prestige-Hochhäuser helfen wenig gegen die Wohnungsnot. Das Problem: Aus statischen Gründen eignen sich nicht alle Häuser für ein Stockwerk mehr.
Sanieren statt abbrechen
Das ist schneller umsetzbar und meist sozialverträglicher als Ersatzneubauten.
Faktencheck: Das mache vor allem auch ökologisch Sinn, sagen die Experten. Allerdings ist die Sozialverträglichkeit eher in Genossenschaften garantiert, bei Luxussanierungen bleiben die bisherigen Mieter oft aussen vor.
Wohnen im Büro
Die unbürokratische Umnutzung von nicht mehr gebrauchten Büros in Wohnungen kann zusätzlichen Wohnraum schaffen.
Faktencheck: Eine gute Idee, die in der Praxis meist daran scheitert, dass es mehr braucht als ein paar Zwischenwände, um aus dem Grossraumbüro eine passable Wohnung zu machen.
Wohnungstausch
Senioren sollen ihre grosse Wohnung mit jungen Familien tauschen – dazu braucht es zentrale Vermittlungsplattformen.
Faktencheck: Bestenfalls ein Experiment, das oft daran scheitert, dass es im Quartier zu wenig geeignete – und bezahlbare – Tausch-Wohnungen gibt.
Wohnen neu gedacht
«Wohnen für Hilfe» oder «Co-Housing» sind neue Wohnkonzepte, bei denen verschiedene Generationen unter einem Dach leben oder sich Gemeinschaftsräume teilen. Das spart Wohnraum.
Faktencheck: Bestenfalls ein Tropfen auf den heissen Stein, es fehlt die Langzeiterfahrung bei solchen Projekten.
Mieter statt Projekte subventionieren
Für bezahlbaren Wohnraum muss nicht zwingend der Wohnungsbau subventioniert werden, das Geld könnte auch direkt an Mieter gehen, um eine (zu) teure Wohnung zu bezahlen.
Faktencheck: Eine ewige Debatte. Einerseits steigen die Preise für Mietwohnungen so weiter an, andererseits kann eher verhindert werden, dass Menschen, die es gar nicht nötig haben, in günstigen Wohnungen wohnen.