Boeing steckt voll in der Krise – und kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen. Jüngster Vorfall: Am Wochenende forderte der US-Flugzeugbauer die Airlines dazu auf, einen Schalter an Pilotensitzen der 787 zu überprüfen. Zuvor war es zu einem Zwischenfall auf einem Flug von Sydney nach Auckland gekommen. Besonders im Fokus steht aber der Flugzeugtyp Boeing 737 Max, bei dem es im Januar zu einem Beinahe-Unglück kam, weil sich kurz nach dem Start ein Rumpfteil vom Flieger löste.
Das Debakel bei Boeing, einer zentralen Figur in der Aviatik, wirkt sich auf die gesamte Luftfahrt-Branche aus. Schliesslich geniesst bei ihr die Sicherheit oberste Priorität. Der Kalauer «If it's Boeing, I ain't going» – frei übersetzt: «Ist es eine Boeing, steige ich nicht ein» – hat plötzlich wieder Hochkonjunktur. Kommt es auf Flügen zu Vorfällen, steigt die Flugangst in der Bevölkerung, wie Psychologen seit Jahren bestätigen.
Neuer Tiefstwert bei Todesfällen im letzten Jahr
Dabei gilt: Das Fliegen ist so sicher wie noch nie. So kamen im vergangenen Jahr 179 Menschen bei Flugzeugzwischenfällen ums Leben, wie Daten von Aviation Safety Network zeigen. Ein neuer Tiefstwert! Zuvor hatte das Jahr 2017 mit 283 Todesopfern den Rekord inne.
Boeing-Pannenserie
Zum Vergleich: In den Airbus A320-200, den zweitgrössten Flieger der Swiss auf Kurz- und Mittelstrecken, passen 180 Passagiere. Und noch ein weiterer Vergleich: Alleine auf Schweizer Strassen verstarben im vergangenen Jahr 236 Menschen bei Verkehrsunfällen, wie aus der neuen Strassenunfallstatistik 2023 vom Bundesamt für Statistik hervorgeht.
Viel mehr Passagiere, viel weniger Tote seit 1970
Das Aviation Safety Network sammelt in einer Datenbank Zwischenfälle im Bereich der zivilen, militärischen und allgemeinen Luftfahrt. Blick hat die Daten aller Todesfälle seit 1970 ausgewertet. Also seit der Zeit, als das Fliegen billiger und damit für grössere Bevölkerungsteile erschwinglich wurde. Das Fazit: In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Sicherheit bei Flugreisen stark verbessert. In den 1970er-Jahren verloren im Durchschnitt knapp 2200 Passagiere bei Unfällen oder Vorfällen wie Flugzeugentführungen ihr Leben.
Seither ist die Zahl in jedem folgenden Jahrzehnt zurückgegangen, auf etwas über 300 Tote pro Jahr in den ersten vier Jahren der 2020er. Und das, obwohl das Passagieraufkommen in den vergangenen 50 Jahren stark angewachsen ist. Laut der UN-Luftfahrtorganisation International Civil Aviation Organization beförderten die Fluggesellschaften 2019 weltweit über 4,5 Milliarden Flugpassagiere. Das sind mehr als 14-mal so viele Personen wie 1970.
«Auch kleinere Vorfälle werden konsequent untersucht»
Roman Boller (34), Sprecher des Berufsverbands der Swiss-Pilotinnen und -Piloten, überraschen diese Zahlen nicht: «Das Passagierflugzeug ist und bleibt das sicherste Verkehrsmittel. Die Aviatik zeichnet sich dadurch aus, dass seit jeher auch kleinere Vorfälle konsequent untersucht und Rückschlüsse für die weitere Erhöhung der Sicherheit gezogen werden.» Zudem seien die derzeit im Flugbetrieb befindlichen Flugzeuge im Allgemeinen zuverlässiger und im Normalbetrieb einfacher in der Bedienung als ihre Vorgänger.
Wie aber sieht es beim Pannen-Flieger Boeing 737 Max aus? Für Swiss-Pilot Boller spielen andere Faktoren eine grössere Rolle als das Fliegermodell: «Für mich ist nicht die Frage nach dem Flugzeugtyp entscheidend, sondern die Frage nach der Airline und deren Anstellungsbedingungen sowie der Ausbildung der Cockpitbesatzung.» Bei den aktuellen Vorfällen habe sich gezeigt, dass die richtigen Reaktionen von gut ausgebildeten Pilotinnen und Piloten schlimmere Folgen verhindert hätten.
Dazu lässt sich auch festhalten: Die beiden tödlich geendeten Abstürze 2018 und 2019 einer Boeing 737 Max ereigneten sich nicht in Amerika, wo der Flugzeugtyp am häufigsten im Einsatz ist. Sondern in Indonesien und in Äthiopien, bei jeweils heimischen Fluggesellschaften. Und alle Swiss-Kunden, die der Boeing 737 Max nicht trauen, können aufatmen: Die Schweizer Fluggesellschaft hat diesen Fliegertyp nicht in ihrer Flotte.