Blick analysiert Gesetz und Gerichtsurteile
Darum sitzen die Mieter meist am kürzeren Hebel

Das Schweizer Mietrecht ist liberaler als in vielen anderen Ländern. Zwar schützt es die Mieterschaft als schwächere Partei. Doch Bundesgericht und Parlament höhlen den Mieterschutz kontinuierlich aus.
Publiziert: 16.06.2023 um 17:46 Uhr
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Vermieter sind gegenüber Mietern meist am deutlich längeren Hebel.
Foto: Keystone
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Die Mieten steigen und steigen. In den Städten reihen sich die Wohnungssuchenden bei Besichtigungen in langen Menschenschlangen ein. Wer bei der Suche Erfolg hat, muss bereits wieder deutlich tiefer in die Taschen greifen als noch vor einem Jahr – schweizweit 3,1 Prozent mehr und in Zürich gar 10 Prozent, wie der aktuelle Mietpreisindex von Homegate zeigt.

Das sorgt bei Mietern für Frust. Doch auch bei einigen Vermietern dürfte sich die Freude in Grenzen halten. So müssen sie sich von den Linksparteien und dem Mieterinnen- und Mieterverband seit Monaten den Vorwurf anhören, die Mieterschaft im Land abzuzocken. Im Herbst werden die Mitglieder des Schweizer Parlaments gewählt und die Wohnungsmieten sind im Wahlkampf ein zentrales, da hochemotionales Thema. Wenn wunderts: Nach Abzug von Steuern und Krankenkassenprämien geben Mieter hierzulande im Schnitt knapp ein Viertel ihres Einkommens für die Wohnung aus. Das ist deutlich mehr als in unseren Nachbarländern. Blick erklärt, warum in der Schweiz die Mieter meist am kürzeren Hebel sitzen.

Wie viel Rendite ist erlaubt?

Wie viel Profit darf bei der Vermietung überhaupt herausspringen? Linke führen regelmässig die Kostenmiete ins Feld. Wie der Name sagt, beruht diese auf den anfallenden Kosten des Vermieters. Investoren und Vertreter der Hauseigentümerverbände argumentieren ihrerseits gerne mit Angebot und Nachfrage, also Marktmieten. Falsch ist im Prinzip beides. Erlaubt ist eine Nettorendite von 2 Prozent plus Referenzzinssatz, wie das Bundesgericht in einem Leitentscheid im Oktober 2020 festgelegt hat – zuvor betrug der Aufschlag zum Referenzzinssatz 0,5 Prozent. Mit dem aktuellen Referenzzinssatz beträgt die erlaubte Nettorendite 3,5 Prozent.

Warum gibt es einen Renditedeckel?

Den Renditedeckel erklärt das Bundesgericht mit ungleich langen Spiessen: Für das Gericht ist klar, dass der Vermieter in den meisten Fällen über mehr Macht verfügt, wenn es um die Festlegung der Miete geht. Rund 85 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben im städtischen Raum. Und gerade in den Zentren ist der Wohnraum oft sehr knapp und der Anteil der Mietwohnungen besonders hoch. In Zürich liegt er beispielsweise bei 91 Prozent. In einem solchen Markt könnten Vermieter die Mieten fortlaufend erhöhen – und praktisch verlangen, was sie wollen. Wohnen ist jedoch ein Grundbedürfnis. Jeder benötigt am Ende des Tages ein Dach über dem Kopf. Deshalb gibt es eine Maximalrendite.

Das gilt bei Altbauten

Diese Maximalrendite basiert auf den Baukosten oder dem Kaufpreis einer Immobilie. Bei einem alten Objekt – mit 50 Jahren auf dem Buckel – dürften demnach nur extrem tiefe Mieten verlangt werden. Weil das in keinem Verhältnis zu den Mieten von neueren Gebäuden stünde, gilt im Mietrecht bei Objekten über 30 Jahren die Orts- und Quartiersüblichkeit. Diese orientieren sich also an Marktmieten. In einem bestehenden Mietverhältnis kann der Mietzins aber nicht laufend an die Orts- und Quartiersüblichkeit angepasst werden.

Das Bundesgericht hat den Mieterschutz auch hier in einem Urteil im Juni 2021 geschwächt: So muss der Vermieter bei einer massiven Mieterhöhung die Orts- und Quartiersüblichkeit nicht mehr mit exakten Vergleichsobjekten belegen. Es reicht, wenn anhand ähnlicher Objekte Zweifel daran gesät werden, dass die Erhöhung missbräuchlich sein könnte.

Parlament höhlt Mietrecht weiter aus

Vermieter nutzen einen Mieterwechsel oft und gerne für eine Mietzinserhöhung. Der Anfangsmietzins kann bei gewissen Voraussetzungen zwar anfochten werden. In der Deutschschweiz kommt dies aber höchst selten vor. In der Westschweiz auf tiefem Niveau immer mal wieder. Die meisten Mieter wollen es sich nicht gleich zu Beginn mit dem Vermieter verscherzen. Für Immobilienfirmen ist es eine Horrorvorstellung, dass die Zahl der Verfahren plötzlich deutlich zunehmen könnte. Das Parlament hat deshalb eine Verschärfung bei den Voraussetzungen für eine Anfechtung entschieden: So soll als Begründung nur noch eine Notlage reichen. Zudem werden die Kriterien für den Nachweis einer orts- und quartierüblichen Miete gelockert.

Das Problem mit dem Verkehrswert

Die Gesetzgebung im Mietrecht ist nicht völlig frei von Widersprüchen: So müssen Eigentümer gemäss Bundesgericht die erlaubte maximale Nettorendite mit dem Kaufpreis berechnen. Wobei das investierte Eigenkapital an die Inflation angepasst werden darf. Immobilienfirmen müssen ihre Gebäude gemäss gesetzlichen Vorgaben jedoch nach dem Verkehrswert bilanzieren. Steigt der Wert der Immobilie, würde ihre Rentabilität ohne Erhöhung der Mietzinsen sinken. Bei steigenden Preisen müssen die Firmen also laufend höhere Einnahmen erzielen.

Was ist dran an den 10,5 Milliarden Franken?

Gemäss Mieterinnen- und Mieterverband kassierten die Eigentümer allein 2021 wegen überrissener Renditen 10,5 Milliarden Franken zu viel an Mietzinsen. Das hat eine vom Verband in Auftrag gegebene Studie ergeben. Doch diese Zahl dürfte kaum der Realität entsprechen, wie Blick im März berichtet hat. Die Studie rechnet für die Mietwohnungen in den letzten 15 Jahren mit einer Nettorendite von 6,5 Prozent – gemessen an Immobilienaktien. Diese Renditen kommen jedoch neben Mieteinnahmen rund zur Hälfte durch Wertsteigerungen zusammen, wie auch Studien von Iazi und Raiffeisen zeigen. Damit lägen die Nettorenditen im Mittel im Bereich der erlaubten 3,5. Prozent. Doch es gibt viele schwarze Schafe, die deutlich höhere Renditen erzielen.

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