Joe Biden (78) war lange ein Musterschüler. Die Impfziele, die er für sein Land gesetzt hatte, übertraf der US-Präsident zu Beginn massiv. Im Spätfrühling kündigte Biden dann den ambitionierten und zugleich symbolträchtigen Plan an, der ihm nun innenpolitisch um die Ohren fliegt: «Bis am 4. Juli werden 70 Prozent der Erwachsenen eine erste Spritze erhalten haben.» Doch der amerikanische Nationalfeiertag kam und ging – die Impfquote verharrte aber unter den angestrebten 70 Prozent. Mittlerweile hat sogar Nachbarland Kanada die USA überholt.
Während seine politischen Gegner Biden mit Häme eindecken, versucht dieser mit neuen Initiativen die junge Bevölkerung zum Impfen zu bewegen. Vergangene Woche lud er die bei Teenagern populäre Sängerin Olivia Rodrigo (18) ins Weisse Haus ein. Sie nahm mit Biden und Chef-Virologe Anthony Fauci (80) an einer Pressekonferenz teil, versuchte, die Jungen zum Piks zu bewegen. Ob die 18-Jährige die nationale Impfkampagne wieder ankurbeln kann, bleibt abzuwarten.
Biden an Facebook: «Sie bringen Menschen um»
Joe Biden scheint nicht wirklich daran zu glauben. Er legte sich am Wochenende mit den Social-Media-Giganten an, allen voran Facebook. «Sie bringen Menschen um», sagte der sichtlich gestresste US-Präsident in die Fernsehkameras. Die Pandemie in den USA sei zu einer «Pandemie unter Ungeimpften» geworden. Die US-Regierung macht Falschinformationen in sozialen Netzwerken mitverantwortlich für die abwartende oder ablehnende Haltung vieler Amerikaner gegenüber den Corona-Impfstoffen.
Im Hintergrund schwelt der Streit schon lange. Bidens Administration verschärfte in den vergangenen Tagen die Rhetorik gegen Soziale Medien massiv. So forderte Jen Psaki (42), Sprecherin des Weissen Hauses, dass Facebook schneller Beiträge entfernen müsse, die gegen die Richtlinien verstiessen und falsch seien. Einige Beiträge würden tagelang online bleiben, monierte sie. «Das ist zu lange, Informationen verbreiten sich zu schnell.» Etwa zwei Drittel der Falschinformation gehe nur auf ein Dutzend Konten zurück, weswegen Facebook leicht dagegen vorgehen könnte, argumentierte Psaki. Gegen falsche Behauptungen wie das Gerücht, wonach Corona-Impfungen angeblich zu Unfruchtbarkeit führen könnten, müsse etwas unternommen werden, forderte sie.
Falschinformationen als Gesundheitsrisiko
Der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Vivek Murthy (44), erklärte die Falschinformationen am Donnerstag offiziell zu einem Gesundheitsrisiko. «Wir leben heute in einer Welt, in der Fehlinformationen eine unmittelbare und heimtückische Bedrohung für die Gesundheit unserer Nation darstellen», sagte er.
Während der Pandemie hätten Falschinformationen etwa dazu geführt, dass Menschen keine Masken getragen hätten. Nun würden sich Menschen aufgrund dessen entscheiden, sich nicht impfen zu lassen. Moderne Technologieunternehmen hätten es ermöglicht, dass «Fehlinformationen unsere Informationsumgebung vergiften», klagte er.
Facebook schiesst gegen Biden
Social-Media-Gigant Facebook wehrte sich am Wochenende wiederholt gegen Bidens Kritik. «Wir werden uns nicht von Vorwürfen ablenken lassen, die nicht von Fakten gedeckt sind», erklärte ein Unternehmenssprecher in der «New York Times». Es sei eine Tatsache, dass mehr als zwei Milliarden Menschen wichtige und akkurate Informationen zum Coronavirus auf Facebook gefunden hätten. Zudem hätten 3,3 Millionen Amerikaner Facebooks Funktion genutzt, mit der Nutzer herausfinden können, wie und wo sie geimpft werden können. «Die Tatsachen zeigen, dass Facebook hilft, Leben zu retten. Punkt», erklärte der Sprecher.
Das Unternehmen von Mark Zuckerberg (37) doppelte in der Folge nach. Daten hätten gezeigt, dass Facebook bei der Förderung der «Impfstoff-Akzeptanz» in der Bevölkerung erfolgreicher sei als die Biden-Regierung. «Die Daten zeigen, dass 85 Prozent der Facebook-Nutzer in den USA gegen Covid-19 geimpft wurden oder geimpft werden wollen», sagte Guy Rosen, der Vizepräsident für Integrität des Unternehmens. «Das Ziel von Präsident Biden war es, dass 70 Prozent der Amerikaner bis zum 4. Juli geimpft sind. Facebook ist nicht der Grund dafür, dass dieses Ziel verfehlt wurde.»
Corona-Fallzahlen schnellen in die Höhe
Dass der Streit jetzt die Öffentlichkeit erreicht, dürfte kein Zufall sein. In den USA ist die Zahl der Neuinfektionen zuletzt in Gebieten mit niedrigerer Impfquote wieder rasant angestiegen – angetrieben von der besonders ansteckenden Delta-Variante. Die Impfkampagne macht dagegen nur noch langsam Fortschritte. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde CDC haben bislang gut 185 Millionen Menschen mindestens die erste Corona-Impfung bekommen – das entspricht rund 56 Prozent der gesamten Bevölkerung.
Im Durchschnitt verzeichneten die USA nach CDC-Angaben zuletzt gut 26'000 Neuinfektionen pro Tag, was gegenüber der Vorwoche einem Anstieg von fast 70 Prozent entspricht. Auch die Zahl der Menschen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesen werden, und die Zahl der pro Woche gemeldeten Toten stiegen zuletzt wieder. (nim/SDA)