Auf einem Transparent an einem Balkon eines vierstöckigen Gebäudes im Stadtviertel Lavapiés in Madrid (Spa) steht in Grossbuchstaben SOS. Ein Notruf von 50 Familien, die befürchten, aus ihrem langjährigen Daheim hinausgeworfen zu werden.
Ein Immobilieninvestmentfonds will das Haus kaufen. Die Bewohner gehen davon aus, dass im Gebäude anschliessend Luxuswohnungen oder Ferienwohnungen entstehen. Der Deal könnte gemäss dem Nachrichtendienst Reuters bereits am 13. Februar über die Bühne gehen. Die Verzweiflung ist gross. Am letzten Samstag gingen Hunderte Menschen auf die Strasse «Unsere Stadtviertel stehen nicht zum Verkauf, sie müssen geschützt werden», skandierten sie.
Diese Regionen ächzen unter Massentourismus
Mieten so hoch wie noch nie
Fliegen die Bewohner aus dem Wohngebäude, dürften viele von ihnen ein Problem haben. Die Mieten in Madrid sind den letzten Jahren geradezu explodiert und so hoch wie noch nie. Joana Iglesias (35), alleinerziehende Mutter von drei Kindern, hat Angst, die Stadt verlassen zu müssen. Mit ihrem Gehalt finde sie keine andere Wohnung, sagt sie zu Reuters.
Seit letztem Sommer ist in Spanien ein neues Gesetz in Kraft, das extreme Mieterhöhungen in vielen Fällen eindämmen soll. Trotzdem dürften die Einheimischen weiterhin aus der Stadt gedrängt werden. Der Tourismus in der spanischen Hauptstadt boomt, knackt beinahe monatlich neue Rekorde. Sehr zur Freude des Bürgermeisters. Die Touristen hätten in Madrid im letzten Jahr 3,5 Milliarden Euro ausgegeben. So viel wie noch nie, sagte José Luis Martínez-Almeida (48) Ende Januar an der internationalen Tourismusmesse Fitur in Madrid. «Es gibt nichts, worum wir andere Grossstädte beneiden müssen», führte er aus. «Es sind die anderen Grossstädte, die zur Kenntnis nehmen müssen, was in Madrid passiert.»
Wenn sich Städte in Touristenkulissen verwandeln
Im letzten Jahr fluteten 10,5 Millionen Touristen die Stadt und sorgten für über 25 Millionen Übernachtungen. Der Tourismussektor trug 2023 mehr als ein Drittel zum Wirtschaftswachstum der Hauptstadt bei. Mittlerweile macht er acht Prozent der Gesamtwertschöpfung aus und bietet Arbeit für eine Viertelmillion Beschäftigte.
Für die Immobilienwirtschaft ist der Massentourismus ein Segen. Sie verdienen sich mit Ferienwohnungen, aber auch mit Business-Apartments eine goldene Nase. Für viele Bewohner jedoch ist der Tourismus ein Fluch. Unbezahlbare Wohnungen sind nur die eine Seite. Die Innenstadt verwandelt sich durch die Gästeströme mehr und mehr in eine Touristenkulisse – und verliert so den Charme als Wohnort. Ein Schicksal, das die Menschen in Venedig (It) zur Genüge kennen. Dort dominieren Airbnb-Wohnungen bereits seit langem das Zentrum und die Altstadt. Einheimische kommen hier nur noch zur Arbeit hin.