Sie ist eine besondere Spezies Mensch – und sie ist in freier Wildbahn hauptsächlich in unserem Nachbarland Österreich anzutreffen: der «Wunderwuzzi». Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Wiener «Wurschtl-Prater» und bezeichnete einen Glücksritter. Also jemanden, der – auch gerne mit dem Geld fremder Leute – versucht sein eigenes Glück zu machen und sich dabei auf eben diese Glückssträhne verlässt. Gemeinhin ist der «Wunderwuzzi» ein Alleskönner, der zusätzlich mit besonderen Talenten gesegnet ist. Was viele gemein haben: Sie werden für ihre Art und ihren Geschäftssinn bewundert und verehrt, andere sonnen sich gerne in ihrem Glanz – solange alles gut geht. Denn oft folgt auf den steilen Aufstieg der jähe Absturz.
Das jüngste Beispiel: Der gefallene Tiroler Immobilienkönig René Benko (46), der auszog, um in der Metropole Wien sein Glück zu machen. Und dessen Signa Holding am Mittwoch Insolvenz beantragt hat. Bereits mit 20 Jahren soll Benko seine erste Schilling-Million (rund 125’000 Franken) gemacht haben, mit 40 war er Euro-Milliardär und bis vor wenigen Tagen einer der reichsten Österreicher. Lud Benko zum Törggelen, ein Art Südtiroler Erntedankfest mit viel Fleisch und Wein, kamen sie alle: die Reichen, die Prominenten und die Mächtigen der Republik. Alle berauschten sich am Erfolg des Immobilienkönigs.
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«Es gibt kein Unrechtsbewusstsein»
Und es war auch immer ein Klassentreffen der Wunderwuzzis. So liess sich Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (37) ebenso beim gesellschaftlichen Highlight des Jahres sehen wie auch der ehemalige Finanzminister Karl Heinz Grasser (54). Beide Politstars legten einen fulminanten Aufstieg an die Schalthebel der Macht hin, ehe sie über diverse Affären stolperten und sich in langen Gerichtsverfahren und Untersuchungen wieder fanden.
Ist dieses Phänomen typisch für Österreich? Star-Werber Frank Bodin (61) arbeitete während eines Mandats mehrere Jahre in unserem Nachbarland – und spricht gegenüber Blick eher von einer «Freunderlwirtschaft» als von «Wunderwuzzis»: «Die Trennung von Politik und Wirtschaft ist in Österreich selten gegeben.» Das Private und das Geschäftliche kultiviere man in Wien auf eine sehr angenehme Art und Weise. «Dass ein Österreicher bestreitet, dass die ‹Freunderlwirtschaft› eine lokale Sache sei, beschreibt das Phänomen eigentlich recht gut», erklärt Bodin. Und führt aus: «Im Umfeld gibt es nullkommanull Unrechtsbewusstsein. Es ist völlig normal, dass man sich gegenseitig Gefallen macht und sie dann privat zurückzahlt.»
Apropos privat: Während solche Szenarien in der Schweiz alleine wegen der Compliance-Reglemente undenkbar seien, «passieren die Deals in Österreich in aller Öffentlichkeit». Bodin erinnert sich: «Wir hatten damals die schönsten Meeting-Räume – aber man hat sich in den drei schicksten Wiener Kaffeehäusern getroffen.» Oder eben bei Törggelen.
Sind «Wunderwuzzis» Hochstapler?
Dort ebenfalls ein gerne gesehener Gast: Der Investor Ronny Pecik (61), der nach der Jahrtausendwende versuchte, die Schweizer Industrie aufzumischen und sich an Traditionsunternehmen wie OC Oerlikon, Sulzer und Ascom beteiligte. Und schnell den Unmut anderer Investoren und der Aufsichtsbehörden auf sich zog. Peciks Geschäftsleben sei ein ständiges Auf und Ab, «was bei einer Person, die Züge eines Hochstaplers aufweist, nicht erstaunt», urteilte die «Neue Zürcher Zeitung» vor ein paar Jahren.
Als Archetyp der «Wunderwuzzi»-Zeit gilt der Unternehmer, Netzwerker und verurteilte Massenmörder Udo Proksch (1934 - 2001). Er brauchte für seine Treffen kein Kaffeehaus, er kaufte sich in den 1970er-Jahren die Hofzuckerbäckerei Demel und betrieb den exklusiven Club 45, einen Treffpunkt der Spitzenpolitiker der damals mächtigen SPÖ. Mithilfe der Politik versuchte Proksch seine Beteiligung am Untergang des Frachters «Lucona» zu vertuschen, bei dem 1977 sechs Seeleute starben.