Schlaff hängen die serbischen Fahnen im strömenden Regen. Sie säumen die Hauptstrasse des kosovarischen Dorfs Gracanica, einer serbischen Enklave nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Pristina entfernt. Im jungen Land, in dem vor 25 Jahren noch Krieg herrschte, führt der Schweizer Andreas Wormser (65) seit 2013 ein Hotel. Und das wenig erfolgreich, wie er selbst zugibt, als Blick ihn besucht.
Als Taxifahrer Egzon (23) bei Wormsers Hotel Gracanica vorfährt, sagt er: «Ein schönes Hotel, leider in einem serbischen Gebiet.» Egzon hat ein Dutzend Verwandte im Kosovo-Krieg verloren. Er erzählt davon, als sei er selbst dabei gewesen. Die Wunden des Konflikts sind bei den Kosovaren – ob Serben oder Albaner – nie ganz verheilt. Bis heute leben sie mehr aneinander vorbei als miteinander.
Albaner bleiben grösstenteils fern
Schweiz-Auswanderer Wormser muss dies auf die harte Tour erfahren. Im Dauerregen, der Kosovos bisherigen Sommer prägt, bleibt der Öko-Pool seines Boutique-Hotels unberührt. Doch wer glaubt, dass sich die Gäste stattdessen im gemütlichen Foyer aufhalten, täuscht sich. Bis auf ihn und seine Angestellte ist das Hotel beinahe ausgestorben. Von den 15 Zimmern sind vier besetzt. Ein serbisches Hochzeitspaar steht etwas verloren im Aussenbereich, lächelt trotz Hudelwetter tapfer in die Linse des Fotografen. «Sie sind nur für die Fotos hier, feiern tun sie anderswo», sagt Wormser.
Wer sich im Dorf umhört, begreift schnell: Den ansässigen Serben ist das Hotel-Restaurant, das sich architektonisch und preislich deutlich vom Rest der Umgebung abhebt, schlicht zu teuer. Damit nicht genug, auch albanische Kunden sind nur selten zu Gast. Freiwillig ins Serben-Gebiet fahren sie bis heute nicht. Ausländische und lokale Reiseveranstalter arbeiten lieber mit Hotels in albanischen Mehrheitsgebieten zusammen.
Selbst Touristen und Mitarbeiterinnen der internationalen Gemeinschaft bleiben dieses Jahr eher weg. «Jede schlechte Nachricht aus dem Norden drückt uns aufs Geschäft. Dabei ist hier alles friedlich», sagt Wormser. Als Blick ihn besucht, hat Serbien im umstrittenen Grenzgebiet 100 Kilometer nördlich von Gracanica drei kosovarische Polizisten in Gewahrsam genommen. Pristina spricht von einer Entführung, Belgrad von illegalem Waffenbesitz vonseiten der Kosovaren.
Betrieb auf Pump
Für den Betrieb des Auslandsschweizers wird die unsichere Lage im Land so zum Insolvenzrisiko. Dass er lediglich wenige Monate vor der Corona-Pandemie an der Gewinnschwelle gekratzt hat, daraus macht Wormser kein Geheimnis. Seine Pensionskasse sowie Kredite von Frau und Schwester halten das Hotel am Leben. Bereut Wormser die Hotel-Eröffnung manchmal? «Es war ein Fehler, aber es wäre schade, hätte ich es nicht gemacht», sagt Wormser.
Aller Schwierigkeiten zum Trotz: Wormser erzählt mit Stolz von den seltenen Tagen, an denen serbische und albanische Gäste gemeinsam am Pool in der Sonne liegen. Dann drückt sein Optimismus vergangener Zeiten durch. Wie 2008, als Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte und dem damaligen EDA-Mitarbeiter Wormser die Idee zu seinem multiethnischen Hotel kam. So wollte er seinen Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Völker Kosovos leisten.
In den Anfangsjahren klappte das noch gut. Serbinnen, Albanerinnen und Roma arbeiteten Hand in Hand in Wormsers Betrieb. Inzwischen schlagen sich die verhärteten Fronten zwischen Serbien und Kosovo selbst in der Personalsuche nieder. «Im Gegensatz zur letzten jugoslawischen Generation sprechen die Jungen kaum noch die Sprache des Anderen», sagt Wormser. Albanische Mitarbeitende findet er deshalb trotz einer Jugendarbeitslosigkeit von 52 Prozent nicht.
Abschied nach 20 Jahren
So ist es Hotel-Managerin Lidija Tokic Fazliji (35), die als Tochter einer Serbin und eines Albaners Wormsers einstige Vision am Leben erhält. Auch sie ist alles andere als optimistisch über die Zukunft: «Die Leute hier haben Angst vor dem Ende», sagt sie. Was das Ende ist, darauf geht sie nicht weiter ein.
Leere Betten, Schwierigkeiten bei der Personalsuche und ein Land, das nicht aus dem Krisenmodus herauskommt: «Es ist ermüdend», sagt Andreas Wormser, der nach zwanzig Jahren im Kosovo langsam Abschied nimmt. Selbst Tokic Fazliji sagt: «Wir sind etwas traurig für Andreas. Er wollte einen Unterschied machen und hat dafür so viel geopfert.»
Bis Ende 2024 will Wormser das Hotel vollständig an Tokic Fazliji übergeben und für den Ruhestand zu seiner Frau nach Deutschland ziehen – sie konnte sich bis zuletzt nicht vorstellen, im bis heute von Männern dominierten Kosovo zu leben. Für seine Landsleute hat Wormser vor allem eine Botschaft: «Das Land bleibt faszinierend. Liebe Schweizer, kommt in den Kosovo.»