Die Corona-Fallzahlen in der Schweiz schnellen in die Höhe. Seit Anfang Juli steigt der 7-Tage-Schnitt kontinuierlich. Ein Problem: Viele Schweizer bringen das Virus aus den Ferien ins Land.
Im Kanton Aargau etwa ist fast die Hälfte aller Neuinfektionen auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Im Kanton Zürich liegt dieser Anteil bei rund 30 Prozent. Derzeit liegt die 14-Tage-Inzidenz vieler beliebter Ferienländer sehr deutlich über derjenigen der Schweiz.
Ferienländer wären auf Quarantäneliste
Laut den Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO zählt die Schweiz im Durchschnitt der letzten 14 Tage 176 Coronafälle pro 100'000 Einwohner. In Portugal sind es 316. In Griechenland 354. In der Türkei 398. In Frankreich 475. In Spanien 438. Und auf Zypern liegt die 14-Tages-Inzidenz sogar bei 800.
Bis zum 25. Juni hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Quarantäneliste geführt. Darauf kamen alle Länder, deren Inzidenz mehr als 60 Fälle höher lag als die Inzidenz in der Schweiz. Heisst: Nach alter Handhabung wären alle oben genannten Ferienländer auf der Quarantäneliste. Und Reiserückkehrer müssten hier zehn Tage in Quarantäne.
Dem BAG sind die Hände gebunden
Aber dieses Regime gilt heute nicht mehr. Die Quarantäneliste wurde ersetzt durch die sogenannte «Liste der Länder mit besorgniserregender Virusvariante». Darauf landeten Länder, in denen die Delta-Variante kursierte. Das Ziel: Die Schweiz vor dieser bisher ansteckendsten Variante zu schützen.
Der Versuch misslang. Heute dominiert Delta den Pandemieverlauf in der Schweiz. 97 Prozent aller Fälle sind auf die Mutation zurückzuführen. Die BAG-Liste ist leer und hat derzeit keinen Zweck.
Es drängt sich die Frage auf: Weshalb führt man die Quarantäneliste nicht wieder ein? Das BAG schreibt auf Blick-Anfrage, die Quarantäne-Pflicht gelte gemäss aktueller Covid-19-Verordnung nur noch für Einreisende aus Staaten mit einer besorgniserregenden Virus-Variante. Sprich: Es wäre Sache der Politik, die Verordnung zu ändern.
«Quarantänepflicht für Reiserückkehrer wäre wirksam, aber...»
Ruth Humbel (64, Die Mitte) sagt: «Bevor wir aber von einer neuen Quarantäneliste sprechen, sollten wir mildere Möglichkeiten in Betracht ziehen». Die Präsidentin der Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK) schlägt eine konsequente Testpflicht für Reiserückkehrer vor: Ein Test bei der Ankunft in der Schweiz für alle Rückkehrer und für Ungeimpfte ein zweiter Test ein paar Tage später.
«Aus epidemiologischer Sicht wäre eine Quarantänepflicht für Reiserückkehrer natürlich das wirksamste Mittel», sagt Epidemiologe Andreas Cerny klipp und klar. Tests hingegen seien eine Momentaufnahme und deshalb weniger zuverlässig.
Trotzdem findet Cerny eine Quarantänepflicht unverhältnismässig: «Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Preis dafür ist wohl einfach zu hoch.» Auch er spricht sich für eine Testpflicht von Reiserückkehrern aus Ländern mit einer hohen Inzidenz aus – sowohl für Ungeimpfte als auch Geimpfte. «Wir wissen, dass auch vollständig Geimpfte das Virus weitergeben können», begründet Cerny.
Keine Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften
Zum heutigen Zeitpunkt will auch SGK-Mitglied Katharina Prelicz-Huber (61, Grüne) keine neue Liste. Ganz vom Tisch ist sie für die Zürcher Nationalrätin aber noch nicht. Es sähe anders aus, wenn sich die Lage in den Spitälern verschärfen könnte. «Um härtere Massnahmen wie diese im Herbst zu umgehen, ist es deshalb höchste Zeit, mehr Leute zum Impfen zu bewegen», so Prelicz-Huber.
Auch von einer Quarantäneliste für Ungeimpfte hält Prelicz-Huber nichts. «Wir müssen vorsichtig sein, keine Zweiklassengesellschaft herzustellen. Das bewirkt nur eine weitere Verhärtung der Fronten.»
Die Diskussion über eine Wiedereinführung der Quarantäneliste scheint noch nicht vorbei zu sein. Spätestens im Herbst, wenn weitere Erkenntnisse über die Impfkampagne, die Spitalauslastung und die Fallzahlen im Ausland vorhanden sind, dürfte die Liste wieder ein Thema sein.