Kein anderer Streamingdienst ist populärer als Netflix. Der Marktführer kennt seit Jahren nur das Wachstum. Besonders auch in der Corona-Pandemie, als sich viele Menschen im Homeoffice wiederfanden und wegen der Lockdowns viel Zeit hatten, hatte Netflix Hochkonjunktur. Doch jetzt findet sich der Anbieter und Produzent von Serien- und Filmhits plötzlich in einer Krise wieder.
Erstmals seit zehn Jahren verliert der US-Konzern zahlende Kundschaft. In den drei Monaten bis Ende März wurden rund 200'000 Abonnentinnen und Abonnenten abgemeldet. Die Anzahl der weltweiten Bezahl-Abos lag zum Quartalsende bei 221,6 Millionen. Eigentlich hatte das Unternehmen laut eigener Prognose mit einem Zuwachs von 2,5 Millionen Kundinnen gerechnet. Der Aktienkurs brach prompt um 40 (!) Prozent ein. Seit Jahresbeginn steht ein Minus von knapp 70 Prozent in den Büchern. An der Wall Street ist deshalb die Rede von einer «Mega-Krise».
Wer ein fremdes Netflix-Konto benutzt, muss zahlen
Jetzt reagiert Netflix. Um mehr Kundschaft zu gewinnen, will der Streamingdienst Schluss machen mit den berühmt-berüchtigten Trittbrettfahrern. Der Dienst schätzt, dass mehr als 100 Millionen Haushalte kostenlos Filme und Serien streamen, weil Freunde und Bekannte ihre Login-Daten teilen. Als das Wachstum noch hoch war, habe man ein Auge zugedrückt, sagte Gründer und Co-Chef Reed Hastings (61).
Doch jetzt ist Netflix auf das Geld der Trittbrettfahrer angewiesen und bittet sie zur Kasse. Wer das Konto eines zahlenden Abonnenten nutzt, soll neu auch selber zahlen müssen. Aktuell laufen in Chile, Costa Rica und Peru Pilotversuche. Abonnenten können Unterkonten für bis zu zwei Personen hinzufügen, die nicht im selben Haushalt wohnen. Diese erhalten den kompletten Zugang in Form eines eigenen Profils – in Costa Rica derzeit für einen Zuschlag von 2,99 US-Dollar. Netflix stellt mittels IP-Adressen fest, von wo Nutzer auf den Dienst zugreifen.
«Wenn Sie etwa eine Schwester haben, die in einer anderen Stadt lebt und Sie Ihr Netflix-Abo mit ihr teilen wollen, ist das super. Wir versuchen nicht, das zu unterbinden», lässt sich Produktchef Greg Peters in US-Medien zitieren. «Aber wir werden Sie bitten, dafür etwas mehr zu bezahlen.» Schweizer Trittbrettfahrer erhalten noch eine Schonfrist: Das System dürfte in den kommenden Monaten allerdings auch hierzulande eingeführt werden.
Günstigeres Abo mit Werbung?
Doch damit nicht genug: Netflix denkt darüber nach, gleich noch mit einer weiteren Tradition zu brechen. Und zwar zeigt sich der US-Streamingdienst plötzlich für ein günstigeres Abo mit zwischengeschalteten Werbe-Clips offen. Die Unternehmensführung hatte Werbung bislang stets kategorisch abgelehnt und sogar entsprechende Marketingkampagnen geführt. Co-Chef Hastings liess kürzlich durchblicken, er sei zwar nach wie vor ein Fan der Einfachheit von Abos – und fügte an: «Aber ich bin noch mehr ein Fan davon, den Verbrauchern eine Wahl zu bieten.»
Offenbar könnte das Werbemodell schon 2023 eingeführt werden. Hastings: «Wir schauen uns das an und versuchen, das in ein bis zwei Jahren auf die Reihe zu kriegen.» Ob das die Lösung ist, das Wachstum bei Netflix wieder anzukurbeln? Klar ist: Die Preise sind hoch, gerade in der Schweiz. Ende 2021 hatte Netflix die Preise in der Schweiz erhöht. Ein Vergleich von SonntagsBlick zeigte: Der US-Streamingdienst ist hierzulande deutlich teurer als in jedem anderen Land der Welt.
Spotify emanzipiert sich von Netflix
Wie schwer die Krise ist, zeigt sich auch an der Konkurrenz. Spotify-Chef Daniel Ek (39) sagte Investoren am Mittwoch, dass die beiden Unternehmen «sehr unterschiedlich» seien. «Ich denke, dass viele Leute uns und Netflix in einen Topf werfen ... wir sind beides Medienunternehmen und erzielen in erster Linie Einnahmen mit Abonnenten – doch damit enden die Ähnlichkeiten für mich.» Spotify sei eine Plattform, Netflix nicht. «Und bei Spotify haben wir einen kostenlosen Service, bei Netflix haben sie das nicht.»
Es ist ein Kurswechsel von Spotify. In der Vergangenheit hatte Ek den Vergleich mit Netflix keineswegs gescheut. So versuchte er die Investoren wiederholt davon zu überzeugen, dass er den Weg von Netflix nachahmen könne. Und der ehemalige Finanzchef Barry McCarthy (66) liess einmal durchblicken, dass Spotify ihn an seine ersten zehn Jahre bei Netflix erinnern würden. Von solchen Verbindungen wollen sie beim Musikdienst dieser Tage aber nichts mehr wissen.