Auf einen Blick
Darauf haben Schweizer Hausbesitzer seit Jahrzehnten vergeblich gehofft: Der Eigenmietwert, dieses fiktive Mieteinkommen, das die Besitzer von selbst genutztem Wohneigentum versteuern müssen, steht vor dem Aus. Nach langem Ringen hat das Parlament im Dezember den Entscheid dazu gefällt.
Das letzte Wort hat in dieser Sache das Volk. Denn von der Umstellung wären auch Zweitwohnungen betroffen, und das schlucken die Bergkantone nur, wenn sie als Ersatz für die Ausfälle eine Objektsteuer erheben dürfen, wofür eine Verfassungsänderung nötig ist. Doch wenn der Souverän im Herbst an der Urne zustimmt, ist der Systemwechsel perfekt. Das heisst: Der Eigenmietwert als Teil des versteuerbaren Einkommens fällt weg. Dafür dürfen Unterhaltskosten nicht mehr und Schuldzinsen nur beschränkt abgezogen werden, etwa beim Ersterwerb bis maximal zehn Jahre nach Kaufzeitpunkt. Bis zur Umsetzung dürfte es allerdings bis 2028 dauern.
Weniger Einnahmen für Staat und Banken
Wer von dieser historischen Systemumstellung profitiert und wer verliert, hängt vom Zinsniveau, dem Verschuldungsgrad und von der Art der Liegenschaft ab. Pensionierte Ehepaare mit kleiner Hypothek würden tendenziell steuerlich entlastet sowie junge Familien, wenn sie zum ersten Mal eine Wohnung oder ein Haus kaufen. Das Nachsehen hätten hingegen die Eigentümer von sanierungsbedürftigen Altbauten.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Viele Unterhaltsarbeiten würden wohl vorgezogen werden, bevor die Vorlage umgesetzt ist. Je grösser der Boom davor ist, desto ausgeprägter wird die Flaute für die Baubranche danach sein.
Wenn die Zinsen so tief sind wie heute, fallen die Zinsabzüge nicht so stark ins Gewicht. Umso erheblicher sind daher die Steuerersparnisse durch die Umstellung in Tiefzinsphasen und umso grösser die Steuerausfälle bei Bund und Kantonen.
Gemäss Daten der ZKB lag der Eigenmietwert zwischen 2008 und 2020 im Durchschnitt klar über den Abzügen. Erst ab einem Zinsniveau von knapp 3 Prozent dürften sich Steuerentlastungen und Steuerbelastungen in etwa die Waage halten, schätzt die Raiffeisen.
Mehr Anreiz zur Amortisation
Die Banken selbst ständen hingegen klar auf der Verliererseite. Mit der Umstellung würde der steuerliche Anreiz wegfallen, die Hypothek hoch zu halten. Der Eigenmietwert und die Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen sind mitunter ein Grund, weshalb die Schweiz die weltweit höchste Privatverschuldung hat.
Gemäss Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel belaufen sich die Verbindlichkeiten der Haushalte auf annähernd 130 Prozent des BIP. Der grösste Teil, rund 1200 Milliarden Franken, sind Hypotheken. Und das, obwohl die Schweiz ein Mieterland ist und nur 36 Prozent der Haushalte in den eigenen vier Wänden wohnen.
Das Hypothekengeschäft – das Kerngeschäft vieler Banken, allen voran der Kantonal- und Regionalbanken – droht bei einer Systemumstellung zu schrumpfen. Und auch die Spareinlagen, die die Hypothekarnehmenden oft bei der gleichen Bank haben, könnten dadurch sinken. Die Frage ist bloss, wie stark.
Nur ein leichter Dämpfer für das Hypothekenwachstum
«Ja, die Banken werden die Umstellung spüren, aber ein Gamechanger ist es nicht», sagt Bankenprofessor Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern. Er schätzt, dass mit der Abschaffung des Eigenmietwerts rund 3 bis 5 Prozent des bestehenden Hypothekarvolumens zurückbezahlt würden.
Das wären zwischen 40 und 60 Milliarden Franken und klingt nach viel. Es entspricht etwa dem jährlichen Wachstum des Hypothekenmarkts in den letzten Jahren. Weil das aber nicht von heute auf morgen geschehe, sondern sich über mehrere Jahre erstrecke, sei der Effekt auf das Bankengeschäft überschaubar.
«Für den typischen Schweizer Hypothekarkunden spielen steuerliche Aspekte bei der Wahl der Belehnungshöhe eine Nebenrolle», begründet Dietrich seine eher konservative Schätzung. Viel wichtiger sei das Zinsniveau. «In den 80er- und 90er-Jahren, als die Zinsen hoch waren, war die Belehnung viel tiefer.»
Ausserdem könnten viele Schuldner nicht einfach schnell 50'000 Franken zurückzahlen, auch wenn sie damit ein paar Tausend Franken Steuern sparen könnten.
Ähnlich sieht es Andreas Venditti, Bankenanalyst bei Vontobel. Die typischen Kunden könnten ihre Hypothek nicht sofort amortisieren, weil den allermeisten die flüssigen Mittel fehlten.
Umlagerung auf andere Kredite
Auch dem Ende des Trends zur indirekten Amortisation sieht Dietrich gelassen entgegen, da die Beträge verhältnismässig klein sind. Bei der indirekten Amortisation zahlen Hypothekarkunden bis maximal 7200 Franken in die dritte Säule ein und reduzieren die Hypothek mit dem 3a-Ersparten erst später, etwa bei der Pensionierung, um bei den Steuern von Abzügen zu profitieren.
Es werde auch zu einem gewissen Umlagerungseffekt kommen, sagt Dietrich. Das heisst: Die Banken werden verstärkt versuchen, das wegfallende Geschäft mit anderen Krediten und Geschäftshypotheken zu ersetzen.
Keine Nervosität bei den Banken
Solche optimistischen Schätzungen könnten ein Grund sein, weshalb es in Bankkreisen so still ist um die Vorlage. Sie halten sich bedeckt. «Die Auswirkungen einer möglichen Abschaffung lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen», heisst es etwa bei der Raiffeisen diplomatisch. Sie seien von den Reaktionen der Kundinnen und Kunden abhängig, und für diese bestehe grundsätzlich kein zwingender Handlungsbedarf bei einem Systemwechsel.
Dabei wäre die Raiffeisen besonders exponiert: Die 220 Milliarden Franken an Hypotheken machen fast 95 Prozent ihrer Ausleihungen und 72 Prozent ihrer Bilanz aus. Das Zinsergebnis in der Höhe von knapp 3 Milliarden trägt über 70 Prozent zum Geschäftsertrag bei.
Die anderen grossen Player am Schweizer Hypothekarmarkt sind die Kantonalbanken, die Migros Bank und natürlich die UBS, deren Schweizer Zinsergebnis aber für die Gruppe von zweitrangiger Bedeutung ist. Auch von ihnen ist keine laute Kritik an einer möglichen Systemumstellung zu hören.
Es käme beim Stimmvolk wohl auch nicht besonders gut an, wenn jetzt die Banken gegen die Vorlage und für den Erhalt ihres lukrativen Geschäftsmodells öffentlich Stimmung machen würden. Doch was hinter den Kulissen läuft, werden wir erst später erfahren. Der Abstimmungskampf hat schliesslich noch nicht begonnen.