«Ab dem Moment war Krise»
Wirecard-Zeugin enthüllt, wie Marsalek die Flucht gelang

Im Wirecard-Prozess sind der frühere CEO Braun und der Kronzeuge der Anklage Gegner. Doch eines haben sie gemeinsam: Beide stellten sich freiwillig der Justiz. Der mutmassliche Hauptdrahtzieher Marsalek hingegen floh unter einem Vorwand – dank Braun.
Publiziert: 20.07.2023 um 15:23 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2023 um 16:20 Uhr
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Der ehemalige Wirecard-Finanzchef, Jan Marsalek, ist seit drei Jahren auf der Flucht.
Foto: AFP

Kurz vor dem Kollaps des Skandalkonzerns Wirecard hat Ex-Firmenchef Markus Braun dem mutmasslichen Hauptverdächtigen Jan Marsalek den passenden Vorwand für die Flucht ins Ausland geliefert.

Die frühere Produktchefin Susanne Steidl schilderte am Donnerstag als Zeugin im Münchner Wirecard-Prozess die dramatischen Tage im Juni 2020, als klar wurde, dass 1,9 Milliarden Euro angeblich auf den Philippinen verbuchter Firmengelder unauffindbar waren.

«Ab dem Moment war Krise»

Steidl zufolge wurde sowohl ihr selbst als auch Finanzchef Alexander von Knoop erst damals der Ernst der Lage klar. Die 1,9 Milliarden waren angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht. Die dortige Bank informierte jedoch den Konzern, dass die Unterschriften unter den Verträgen gefälscht waren.

Der Finanzchef sei dann in ihr Büro gekommen, berichtete Steidl. «Susanne, guck mal, wir haben ein Problem», habe von Knoop gesagt. «Ab dem Moment war Krise», erinnerte sich die Managerin weiter.

Philippinen-Reise als Schlupfloch

In der Wirecard-Geschäftsleitung zuständig für Asien war Marsalek. CEO Braun habe dann gesagt: «Jan, du musst in die Philippinen fliegen.» Dort sollte Marsalek das Problem demnach persönlich klären. Aus Steidls Aussage lässt sich nicht ableiten, dass Braun Marsalek bewusst einen Fluchtvorwand lieferte – dazu sagte sie nichts.

Am 18. Juni 2020 wurde Marsalek suspendiert. «Er hat sich dann von mir verabschiedet, er fliegt in die Philippinen und wir sehen uns in zwei Wochen», sagte Steidl. Doch reiste Marsalek dort nie ein.

Stattdessen soll sich der Manager über Belarus nach Russland abgesetzt haben, er wird per Haftbefehl gesucht. Braun hingegen stellte sich der Justiz, ebenso der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Beide sitzen nunmehr seit drei Jahren in Untersuchungshaft.

Wirecard-Betrug richtete Schaden in Milliardenhöhe an

Laut Staatsanwaltschaft erdichtete eine Betrügerbande bei Wirecard unter massgeblicher Beteiligung Brauns und Marsaleks Scheingeschäfte in Milliardenhöhe. Den Schaden für die Kreditgeber des Konzerns beziffern die Ermittler auf über drei Milliarden Euro. Die Anklage fusst wesentlich auf den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus, dem früheren Wirecard-Manager in Dubai.

Nach Darstellung Brauns waren sowohl Geschäfte als auch Erlöse echt. Stattdessen sollen Marsalek, Bellenhaus und Komplizen zwei Milliarden Euro aus dem Konzern abgezweigt und veruntreut haben.

Marsalek-Schreiben als «schriftliche Zeugenerklärung»?

Marsalek hat dem Gericht kürzlich über seinen Anwalt einen aufsehenerregenden Brief zukommen lassen, in dem er den einstigen Mitarbeiter und Kronzeugen Bellenhaus als Lügner beschuldigt. Daher misst Brauns Verteidigung dem Brief grosse Bedeutung zu.

Die Richter wollen aber erst nach einer Bedenkzeit entscheiden, ob sie das Schreiben als «schriftliche Zeugenerklärung» für die Beweisaufnahme zu den Akten nehmen. «Das werde ich nicht in der Nacht übers Knie brechen», sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch. Die Verteidigung des Kronzeugen hat das Marsalek-Schreiben für «Blödsinn» erklärt. (ter/SDA)

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