Jetzt haben die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges die Schweiz definitiv erreicht. Knackten die Preise für einen Liter Bleifrei 95 oder Diesel am Wochenende in weiten Teilen der Schweiz erstmals seit langem wieder die psychologisch wichtige Marke von 2 Franken, geht es nun richtig ab.
Gestern Dienstag um 14.30 Uhr wurden an der Socar-Tankstelle in Dübendorf ZH die neusten Preise aufgeschaltet. Und die haben es so richtig in sich: 2.25 Franken für einen Liter Bleifrei, gar 2.38 Franken für den Liter Diesel. Das ist ein happiger Aufschlag von 25 Rappen pro Liter. Von einer Sekunde auf die andere! Das gabs noch nie.
Kunden erkundigen sich scheu beim Personal, ob es sich da um einen Fehler an der Anzeigetafel handle. Und kommen dann miteinander ins Gespräch. Der Tenor unter den Autofahrern: «So kann es nicht weitergehen, jetzt reichts!» Der Ärger erstaunt nicht: Wer seinen Familienkombi (50 Liter) volltankt, der zahlt von einem Tag auf den anderen 12.50 Franken mehr dafür.
Von Sion bis Altdorf
Der Frust derer, die aufs Auto angewiesen sind, eint die Schweiz. So ist der Preis für einen Liter Bleifrei 95 in Sion von 1.98 Franken auf 2.23 Franken gestiegen. Genauso wie bei der Migrol in Bern Wankdorf (2.20 Franken), bei Shell in Kriens (LU) (2.25 Franken), wie in Altdorf (2.25 Franken) oder in Rapperswil-Jona SG, wo der Liter Bleifrei bei Migrol sogar 2.28 Franken kostet.
Die Entwicklung dürfte noch eine Weile anhalten. Es sieht nicht danach aus, als würden die ständig steigenden Preise plötzlich ins Stocken kommen. Im Gegenteil. Die Preise für Rohöl auf dem Weltmarkt steigen weiter stark an. Seit Anfang Jahr sind sie bereits um über 60 Prozent gestiegen. Das Fass Rohöl gabs gestern für 133 Dollar. Anfang Januar kostete es noch 77 Dollar. Das hat natürlich direkte Folgen auf den Preis an der Zapfsäule.
«Historisch ausserordentliche Lage»
Letztlich hängt dieser von mehreren Faktoren ab. Dazu zählen neben den Raffineriekosten, dem Wechselkurs des Dollars und den staatlichen Abgaben auch die Logistik wie etwa die Frachtkosten auf dem Rhein. Klar ist aber: Wenn der Rohölpreis dermassen stark ansteigt wie in den letzten Tagen, dann klettert auch der Preis für einen Liter Kraftstoff an der Tankstelle in rekordhohe Gefilde.
«In Anbetracht der historisch ausserordentlichen Lage mit dem Krieg in der Ukraine überraschen die rasch steigenden Öl- und Gaspreise nicht», sagt Roland Bilang (59), Geschäftsführer von Avenergy Suisse, der früheren Erdölvereinigung, zu Blick. Prognosen macht Avenergy nicht. «Das Monatsmittel für Bleifrei 95 vom Februar 2022 war 1.86 Franken. Es wurde letztmals im Oktober 2012 verzeichnet», sagt Bilang. Es sei deshalb aktuell davon auszugehen, dass das Monatsmittel im März rekordhoch werde.
«Grösser als während der Erdölkrise»
«Nein, sowas haben wir so noch nicht erlebt», sagt TCS-Sprecherin Sarah Wahlen zu Blick. Mit der vierten Preiserhöhung seit Anfang März ist der Benzinpreis innert wenigen Tagen um 34 Rappen und der für Diesel um 41 Rappen gestiegen. Seit Anfang Jahr ist der Benzinpreis von 1.77 auf 2.23 Franken gestiegen. Das ist ein Plus von 46 Rappen! Der Diesel verteuerte sich laut den Daten des TCS von 1.82 Franken auf 2.35 Franken.
Das Ganze hat historische Dimensionen. «Aus früheren Aufzeichnungen des TCS geht hervor, dass der heutige Preisanstieg sogar grösser ist, als es bei der Erdölkrise 1973 der Fall war», sagt Wahlen weiter.
So schlimm wie vor 50 Jahren
Die derzeitige Energiekrise ist nach Angaben des französischen Wirtschaftsministers ähnlich schlimm wie die Ölkrise vor knapp 50 Jahren. Auch jetzt steigen die Spritpreise ins Unermessliche. «Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass diese Energiekrise in Intensität und Brutalität mit dem Ölschock von 1973 vergleichbar ist», sagte Bruno Le Maire (52) heute in Paris. Die Folgen der aktuellen Krise sehe man im Alltag. Die Spritpreise seien für viele Bürger untragbar.
Man dürfe nun nicht die Fehler von 1973 wiederholen und eine Politik des «Koste es, was es wolle» fahren, sagte Le Maire. «Denn das würde nur den Preisanstieg und die Inflation, unter denen unsere Bürger so leiden, antreiben.» Le Maire forderte, einen neuen Umgang zu finden. «Die richtige Antwort auf die aktuelle Energiekrise ist Unabhängigkeit.» In den kommenden zehn Jahren solle die Europäische Union energetisch vollständig unabhängig sein.