Es stürmt und schneit am Sonntag auf dem Corvatsch, immer wieder wird der Start der Slopestyle-Freeskier nach hinten verschoben, bis er kurz nach Mittag ganz abgesagt wird. Eine nervenaufreibende Sache, eigentlich. Nicht aber für Mathilde Gremaud (24). Denn es steht längst fest: Keine kommt noch an sie ran. Weder in der Disziplinen-, noch in der Gesamtwertung. Weltmeisterin wurde sie, Olympiasiegerin, mehrfache X-Games-Gewinnerin. Doch an den Kugeln schrammte sie stets vorbei – bis jetzt. Drei nimmt sie nach dem Weltcupfinale im Engadin (GR) mit nach Hause.
Das Geheimnis hinter ihrer Traumsaison ist ein einfaches: purer Fokus. «Schon im Sommer habe ich mir gesagt: Okay, die Kugeln fehlen mir, und es ist das Einzige, was es in diesem Jahr zu holen gibt. Jeder Wettkampf wird gleich wichtig. Ich nahm mir vor, immer – wirklich immer – mit 100 Prozent an den Start zu gehen.» Der Plan ist aufgegangen, Gremaud holte sich den Gesamtweltcup mit der höchsten maximalen Punktzahl. Eine Leistung, die im Freestyle keiner Athletin oder Athleten jemals zuvor gelungen ist.
Glamour ist nicht ihr Ding
Doch im Scheinwerferlicht zu stehen ist nicht Gremauds Ding. Würde es nach ihr gehen, würde sie wohl auch an einer Awardshow im gemütlichen Hoodie und mit Mütze auftauchen. Ein Leben wie der chinesisch-amerikanische Freestyle-Megastar Eileen Gu (20), die ständig zwischen Catwalks, Halfpipes und Modeshootings pendelt, wäre Gremaud ein Graus. «Berühmt wie Eileen, die auch ausserhalb der Szene ein absoluter Superstar ist, wollte ich nie sein. Aber es war immer mein Ziel, Leute in meinem Sport inspirieren zu dürfen und können.»
Gremaud kommt ins Schwärmen. «Es gibt so viel zu tun, so viele Kids, denen wir helfen können, und ich bin richtig motiviert, das anzupacken!» Es klingt danach, als ob sich die beste Slopestylerin der Welt bereits jetzt, mit 24 Jahren, Gedanken über ihr Leben nach der Karriere macht. «Natürlich», bestätigt sie, «Es ist schon mein Ziel, irgendwann etwas ausserhalb des Freestyle-Skiings zu machen.»
Eine Zukunft auf dem Bike?
Damit meint Gremaud nicht etwa einen Disziplinenwechsel, aufs Snowboard werde sie sicher nicht umsteigen. Aber ihre zweite Leidenschaft, das Mountainbiken, möchte sie ausbauen. «Im letzten Sommer kriegte ich auf Instagram mega viele Follower – das waren ausschliesslich Biker», erzählt sie etwas erstaunt.
Im Renndress wird man sie so schnell allerdings nicht sehen. Diesen zusätzlichen Druck will sie sich nicht zumuten. Und: «Eine Wintersaison muss man im Sommer vorbereiten, und Skifahren bleibt meine Priorität, sicher für die nächsten zwei Jahre.» Aber ohne das Mountainbiken wäre diese Saison vermutlich nicht so traumhaft verlaufen, wie sie es nun tat. «Das Biken tut mir so gut, es macht mir mega Freude und gleicht mich aus.»
Die Balance gefunden
Ausgeglichen ist Mathilde Gremaud, vermutlich so sehr wie nie zuvor in ihrer Karriere. Während sie kurz nach ihrem Olympiatriumph 2022 in eine Motivationskrise fiel, ist sie nun gefestigt. «Ich bin älter geworden. Und ich habe gelernt, Nein und Stopp zu sagen», erklärt sie. Ein Beispiel? Mehrere Einladungen für prestigeträchtige After-Season Events hat sie schweren Herzens abgelehnt. Sie will sich im Sommer nicht nur erholen, sondern ihn auch geniessen. «Bitzli biken, bitzli chillen», wie sie sagt.
Angst, nochmals in ein mentales Tief zu rutschen, hat sie keine mehr. Denn neben dem Training setzt sie sich andere Prioritäten. «Das Training ist ein Muss. Aber genau so ist der Ausgleich ein Muss. Biken, Surfen, Wandern.» Es hilft ihr, die Motivation hochzuhalten – auch jetzt, wo Mathilde Gremaud alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt.