Warum sich Sportlegenden diesem Journalisten öffnen
«Mich interessieren nicht die Namen, mich interessieren die Geschichten dahinter»

Für seine «Wir waren Helden»-Serie im Blick interviewt Daniel Leu normalerweise Sport-Legenden. Nun ist daraus ein Buch entstanden. Für uns ein Grund, den Spiess umzudrehen, und Leu zu interviewen.
Publiziert: 10.10.2024 um 18:13 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2024 um 15:37 Uhr
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«Mich interessieren nicht die Namen, mich interessieren die Geschichten dahinter», erzählt Daniel Leu, als er erklärt, wie er seine Interviewpartner und Partnerinnen aussucht.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Alexandra FitzCo-Ressortleiterin Gesellschaft

Ich stehe grad enorm unter Druck.
Daniel Leu: Warum?

Weil du deine Interviews immer so gut beginnst. Wie lange nimmst du dir Zeit für die Vorbereitung?
Sicher einen ganzen Tag.

Deine Kollegen behaupten, du liest alles zu dieser Person.
Ich lese wirklich nahezu alles, was ich finde. Manchmal höre ich stundenlang Podcasts, um dann nur einen Halbsatz daraus zu verwenden.

Du weisst, wie gross und schwer Federer zur Welt kam (3610 Gramm, 54 Zentimeter) oder dass Udo Jürgens Denise Biellmann umgarnte. Woher?
Das trage ich alles zusammen und nehme das ins Gespräch. Es sind diese Details, die einen guten Text ausmachen, und du weisst irgendwann, dass es «gspürig» sein muss. Mit dem Alter werde ich besser.

Du schaffst es auf eine sehr unaufgeregte Art, dass die Sportler sich öffnen. Sie sprechen über Doping, den Verlust eines Kindes und über Selbstmordgedanken. Ein Kollege sagt: «Er ist einerseits ein Unschuldslamm, fast ein wenig ein Verdrückter, und andererseits ein hartnäckiger Nachfrager.» Warum meinst du, entlockst du ihnen so viel?
Wie schon gesagt, ich bereite mich gut vor. Das schätzt das Gegenüber. Und ich habe eine empathische Art – sagt zumindest der Fotograf, der mich meistens begleitet. Meine Freundin sagt das nicht.

Was sagt sie?
Dass ich auch ein Kotzbrocken sein kann. Ich bin sicher eher ein Kauz und ein Einzelgänger.

Du bist auf jeden Fall kein typischer Sportjournalist.
Wir Sportjournalisten werden doch immer ein wenig belächelt. So quasi zweite Kategorie. Ich behaupte, ich würde mit Politikern genauso gute Interviews machen. Am Schluss machst du ja ein Interview mit einem Menschen.

Jetzt gibt es unsere «Wir waren Helden»-Rubrik auch als Buch

Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Es kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop oder noch einfacher direkt via QR-Code.

Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Es kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop oder noch einfacher direkt via QR-Code.

Welcher Sport-Held, welche Sport-Heldin fehlt für dich noch?
(Überlegt lange.) Es ist fast ein bisschen überheblich, dass mir kein Name in den Sinn kommt.

Deine Kollegen sagen: Federer.
Mich interessieren nicht die Namen, mich interessieren die Geschichten dahinter. Ich finde es spannender, mit einem Rolf Järmann offen über Doping reden zu können, als mit einem Superstar eher an der Oberfläche zu kratzen.

Welche Begegnung war schlimm?
Eine, die nicht im Buch ist. Es ist eine Person, die offenbar dement ist und immer wieder dasselbe erzählte.

Welche traurig?
Das Interview mit Snowboarder Gian Simmen hat mich nachhaltig beschäftigt. Sein Baby starb im neunten Monat. Er erzählt im Interview, wie er seine tote Tochter in den Händen hielt. Dass sie kalt war und wie riesengross das Loch war, in das er hineinfiel. Ich weine heute noch, wenn ich diese Textpassage lese.

Und musstest du auch schon mal während eines Gesprächs weinen?
Ja, bei Erika Hess. Ihr Mann ist an Corona gestorben. Sie durfte ihn nicht mehr besuchen. Das hat mich fertiggemacht. Ich hätte weiter fragen können – wollte aber nicht.

Wie suchst du deine Interviewpartner aus?
Ich muss Lust auf diese Person haben. Das ist völlig egoistisch, das ist mir klar. Ich muss zwei, drei Themen im Hinterkopf haben, die spannend sein könnten, sonst frage ich die Person nicht. Zum Beispiel Chappi.

Chappi?
Stéphane Chapuisat war in den 90er-Jahren der grösste Schweizer Fussballer.

Und dein grösster Held?
Ja. Aber ihn habe ich noch nie angefragt. Weil ich nicht genau weiss, worüber ich mit ihm reden soll. Er hat Karriere gemacht, wurde in Dortmund zur Legende, hatte überall Erfolg und fiel nach seiner Karriere nicht in ein Loch.

Apropos Loch. Wenn man deine Gespräche liest, hat man das Gefühl, Sportler landen oft im Knast oder wollen sich das Leben nehmen. Ist die Sportwelt so hart?
Gute Frage. Als Sportler wird ihnen viel abgenommen. Aber nach der Karriere müssen sie alleine im Alltag zurechtkommen.

Ariella Kaeslin erzählt dir, dass sie nicht wusste, wie man Rechnungen bezahlt.
Ja. Sportlern wird alles vorgegeben. Wann sie trainieren, wann sie essen, wann sie Ferien machen. Nach der Karriere sind viele überfordert. Viele haben kein Geld – oder stellen sich die Sinnfrage.

Ist es nicht der Ruhm, der ihnen nach dem Karriereende fehlt?
Ich weiss, was du meinst, aber das sind keine arroganten Arschlöcher, denen auf einmal das Rampenlicht fehlt. Irgendwann stehen sie einfach auf und haben keinen Wettkampf mehr. Ein Sportstar in der Schweiz ist nicht abgehoben. Vreni Schneider etwa kann bestimmt durch Zürich laufen, ohne dass sie dauernd angesprochen wird.

Es sind auffallend wenige Heldinnen, die du interviewst.
Das war klar, dass das kommt.

Warum?
In vielen populären Sportarten – Fussball, Hockey, Schwingen, Motorsport – gab es früher kaum Frauen. Mit Ausnahme von Ski und Leichtathletik.

Tennis?
Die Schweiz war früher keine Tennisnation. Und Martina Hingis sagte schon mehrfach ab.

Sie ist nicht die Einzige. Wieso sagen Frauen ab?
Viele wollen nicht mehr im Rampenlicht stehen. Sie sagen dann: Das ist so lange her, die alten Geschichten interessieren doch keinen mehr. Da gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen den Geschlechtern.

Erklär die Diskrepanz bitte konkreter.
Ein Mann überlegt weniger, wie er in der Öffentlichkeit wirkt, wenn er etwas erzählt. Eine Frau sagte mir: Sie mache sich Sorgen, wie man auf sie nach der Veröffentlichung an der Migros-Kasse reagiere. Das überlegt sich ein Mann nicht.

Welche Frau war das?
Das will ich nicht sagen. Auf jeden Fall hatten wir ein Interview und sie zog es zurück. Wegen eines heiklen Parts, den sie jedoch selbst in einer Biografie schrieb. Oder die Skifahrerin Sonja Nef. Sie fand, sie komme zu negativ rüber. Diese Unsicherheit haben viele Frauen. Ich denke dann: Sag doch einfach, was ich ändern soll. Ein Mann sagt: dort und dort diese Änderungen. Fertig!

Was ist Autobahn 7777? 

(Längere Stille.) Mein Instagram-Account. Der Name bedeutet nichts. Als ich mich anmeldete, kam ich nicht so wirklich draus.

Man sieht dort tolle Fotos, die du machst. Von deinem Hobby Groundhopping. Erzähl mal, was das ist.
Ein Groundhopper ist einer, der an möglichst vielen verschiedenen Orten Fussballspiele schaut. Mich interessieren dabei die Orte. Die Käffer.

Warum machst du das?
Diese Reisen sind meine Therapien.

Therapien wofür?
Zum Leben. Ich gehe immer allein. Mit dem Auto auf einen Roadtrip. Sprechen mich andere Groundhopper an, haue ich ab.

Du gibst einen Teil deiner Ferien und Freizeit dafür her. Was sagt deine Freundin dazu?
Wir führen eine gute Beziehung, aber wenn wir mal Streit haben, dann wegen des Groundhoppings.

Du hast deiner Freundin zum 30. nur eine Bündner Nusstorte geschenkt.
Woher weisst du das?

Quellenschutz.
Sie war richtig hässig. So bin ich eben. Ich weiss, dass es nicht gut ankommt, aber ich mache nicht gerne Dinge, die mir nicht passen, auch wenn man es so macht. Ich weiss, dass ich es mir einfacher machen könnte. Da bin ich stur. Wie gesagt, ein Kauz, aber ein liebenswerter. Letztens brachte ich ihr nach einem Interviewtermin in Arosa einfach so eine Bündner Nusstorte mit.

Und?
Sie hatte grosse Freude.

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