Auf einen Blick
Wenn eine unfassbare Tragödie geschieht, passiert immer das Gleiche: Wir alle wollen am liebsten sofort eine Erklärung dafür und wenn möglich zeitnah auch einen Schuldigen präsentiert bekommen. So ist es momentan auch im Fall der tödlich verunglückten Schweizer Radrennfahrerin Muriel Furrer (†18).
Am Donnerstag vor einer Woche war die Zürcherin während des U19-Rennens der Rad-WM schwer verunglückt und danach rund eineinhalb Stunden unentdeckt liegen geblieben. Einen Tag später starb Furrer an den Folgen ihres erlittenen Schädel-Hirn-Traumas.
Seitdem stellen sich vor allem diese beiden Fragen: Wie kann eine Fahrerin während eines Rennens stürzen, ohne dass das jemand mitbekommt? Und warum lag Furrer danach so lange verschollen im Wald?
Diese Fragen lassen uns alle seitdem nicht mehr los. Vor allem, weil es auch heute, zehn Tage danach, noch immer keine plausiblen Antworten darauf gibt. Die Erklärung für dieses unglaublich traurige Ereignis, nach der sich alle sehnen, sie blieb bislang aus. Und könnte noch lange auf sich warten lassen oder auch gar nie kommen.
«Es kann doch nicht sein ...»
In den letzten Tagen habe ich mit unzähligen Menschen gesprochen. Mit Direktbeteiligten, aber auch mit vielen Leuten, die nahe dem Unglück wohnen und die oft in der besagten Waldpassage beim Unfallort unterwegs sind. Sie alle sind froh, wenn sie über das Geschehene reden können. Dabei habe ich immer wieder das Gleiche gehört: «Das alles ist nicht möglich» oder «Drei Fahrerinnen kommen oben gleichzeitig in den Wald rein, aber unten kommen nur noch zwei raus – da müssen die doch Alarm schlagen» oder «Es kann doch nicht sein, dass die Trainer und Betreuer nicht merken, dass eine ihrer vier Fahrerinnen nicht mehr im Rennen unterwegs ist».
Wenn man dann versucht, ihnen sachlich zu erklären, warum das eben doch möglich und Stand heute sogar wahrscheinlich ist, will das niemand hören oder wahrhaben. «Nein, was Sie sagen, stimmt einfach nicht», haben mir mehrere Personen erzürnt entgegnet, «es stirbt eine 18-jährige junge Frau, und Sie wollen mir jetzt ernsthaft sagen, dass es dafür keine logische Erklärung und keinen Schuldigen gibt? Sie spinnen!»
Ja, die Familie und die Freunde von Furrer haben ein Anrecht auf eine Erklärung und auf die Wahrheit in der Schuldfrage. Das ist nun Aufgabe der Ermittlungsbehörden. In den ersten Tagen nach dem Unfall hatte man zwar mehrfach das Gefühl, sie seien noch nicht so richtig in die Gänge gekommen, doch trotzdem kann man davon ausgehen, dass sie ihre Aufgabe korrekt und akribisch erledigen werden. Auch wenn Volkes Stimme mir mehrfach sagte, dass die bestimmt Teile der Wahrheit unter den Teppich kehren werden.
Diese Antworten wären kaum zu akzeptieren
Was in Wochen oder Monaten das Ergebnis dieser Untersuchungen sein könnte, das könnte aber leider schmerzhaft sein. Was, wenn alle Indizien dafür sprechen, dass Muriel Furrer einfach zu schnell in die Kurve reinfuhr oder sie einen Fahrfehler gemacht hat? Was, wenn ein technischer Defekt am Anfang des Unheils stand? Ein Mann vom Sicherheitsdienst erklärte mir anonym: «Unsere Hauptaufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Strasse frei von Hindernissen ist und dass kein Unberechtigter diese betritt. Angesichts ihres Todes ist diese Aussage zwar brutal, aber sie entspricht der Wahrheit: Die Fahrerinnen und Fahrer müssen auch selber darauf achten, was links und rechts von der Strasse kommt. Wir können sie von dem, was sie dort antreffen könnten, nicht überall perfekt beschützen.»
Auf die Frage nach einer Erklärung, wie das alles passieren konnte, gibt es nach heutigem Stand vor allem drei mögliche Antworten. Erstens: Furrer könnte aus Eigenverschulden schwer gestürzt sein. Zweitens: Ein Defekt oder ein äusserer Einfluss könnte eine entscheidende Rolle gespielt haben. Und drittens: Es gibt wirklich keine Erklärung für das, was passiert ist, und damit auch nie einen Schuldigen.