St. Pauli ist das Freudenhaus der Bundesliga. Auch an diesem Samstag strömen die Fans zum Heimspiel gegen Werder Bremen ans Millerntor. 3000 Fans kommen aus dem nahen Bremen zum Derby. Allein 30'000 Bremer wären gerne dabei gewesen. Und Zehntausende von Hamburgern.
Vor dem Stadion hoffen viele auf ein Ticket in letzter Minute. Die meisten vergeblich. Ein Plätzchen am kultigen Millerntor ist derzeit schwieriger zu ergattern als in der Münchner Allianz-Arena. Das Stadion fasst nur 30'000 Zuschauer. Diejenigen, die draussen bleiben müssen, fiebern in den Kneipen auf St. Pauli mit. Im legendären Klublokal Jolly Roger braucht Nahkampferfahrung, wer sich ins Getümmel stürzt.
Bremen gewinnt mit 2:0, St. Pauli strampelt im Abstiegsstrudel. Eine gewisse Ernüchterung macht sich breit. In der letzten Saison ist der deutsch-schweizerische Trainer-Überflieger Fabian Hürzeler durch die 2. Liga gefegt. «Überlagerung einer Spielseite» ist der Kern seines Spiels. Ohne rechten, dafür mit zwei linken Mittelfeldspielern hat St. Pauli die Konkurrenz vor Rätsel gestellt. Bis die Gegner die DNA des Spiels entschlüsselt hatten, stand der Aufstieg schon fest.
Peter, der Taxi-Chauffeur
Die 0:2-Schlappe wird rund um die Reeperbahn weggespült. Das Bier kostet 2,30 Euro, ein Schnaps ist für 1,30 zu haben. Adventliche Besinnlichkeit ist nicht das Motto am Kiez. Oder wie es John Lennon einst formuliert hat: «In Liverpool bin ich aufgewachsen, in Hamburg bin ich erwachsen geworden.» Der Totenkopf, das Markenzeichen von St. Pauli, prangt an jedem Rücken.
Am nächsten Tag geht es mit dem Taxi an den Flughafen. Peter heisst der Taxichauffeur. Er ist 74 Jahre alt und bessert sich seine bescheidene Rente auf. «Ich will dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Und daheim auf dem Sofa zu sitzen, ist nicht mein Ding. Ich muss unter die Leute, ich will am Leben teilhaben, ich will sehen, wie sich die Stadt entwickelt.» In der Nacht und nach St.-Pauli-Spielen mag er nicht mehr fahren.
Trotzdem wird die Fahrt zur sportlichen Lehrstunde. «Jüngst hat am Strassenrand eine Dame mit einem Rucksack gewinkt und ist eingestiegen. Als ich mich umgedreht habe, war es Steffi Graf. Sie ist Botschafterin der Kinderklinik in Eppendorf und besucht die kranken Kinder mehrmals im Jahr. Ohne dass sie ein grosses Tamtam macht. Eine tolle Persönlichkeit», sagt Peter. Er hat Graf dann nicht an den Flughafen gefahren, sondern zu Michael Stich, dem sie einen Kurzbesuch abgestattet hat.
Peter redet und redet. «Da vorne stand früher ein kleines Häuschen. Da hat Max Schmeling, der Boxweltmeister, mit seiner ungarischen Schauspielerin gewohnt.» Er erzählt von Fahrten mit Felix Magath, mit Günter Netzer, mit den Klitschkos und mit angeheiterten Fussballern des HSV und von St. Pauli. Anekdote nach Anekdote. Hamburger Sportgeschichte à discrétion.
Leider sind wir schon am Flughafen. Fährt Peter auch an Weihnachten Taxi? «Nur noch am Morgen. Nach dem Mittag fahren die Leute zu den Familienfeiern, und die Ehepaare auf dem Rücksitz kriegen sich in die Wolle. Da ist mir die Stimmung zu angespannt und zu gereizt. Da sitze ich mittlerweile lieber daheim. Frohe Weihnachten wünsche ich Ihnen.»