Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Fredy fährt Ski

Längst fährt nicht mehr die ganze Nation Ski. Aber die Generation von Fredy und seiner Frau Rosmarie halten die Fahne des Skifahrens hoch. Die Glosse von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 07.01.2024 um 18:04 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2024 um 20:30 Uhr
Felix Bingesser schreibt in seiner Kolumne über Herr und Frau Schweizer auf der Ski-Piste.
Foto: Thomas Meier

Fredy ist vor einem Jahr frühpensioniert worden. Dass es auch ohne ihn in der Firma glatt weiterläuft und der Umsatz ohne seine Kompetenz und seine Tatkraft sogar gesteigert werden konnte, schmerzt ihn fast ein wenig.

Aber er hat jetzt wenigstens etwas mehr Zeit, seine kleine Ferienwohnung in den Bergen zu nutzen. Auch wenn das Zusammenleben auf engem Raum mit seiner Frau Rosmarie immer wieder zu Reibereien führt. Als Kadermann und als Stimmenzähler bei der Gemeindeversammlung ist sich Fredy gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. «Entweder man ist ein Alphatier, oder man ist keines», pflegt er Rosmarie jeweils zu sagen, wenn er das Gefühl hat, er sei für das Abtrocknen des Geschirrs überqualifiziert.

Das Skifahren ist für ihn im Winter das wichtigste Projekt. Auch in den Feiertagen, wenn es etwas Dichtestress gibt. Er hat nichts dem Zufall überlassen und in den Herbstmonaten die Wetterprognose im Fernsehen immer leicht wippend in der Hockeposition geschaut, um kräftemässig gerüstet zu sein. Auch am 1. Januar startet Fredy traditionell mit einem Skitag ins neue Jahr. 

Die fortschreitende Gelenkarthrose bekämpft er mit Schonern. Und nach dem Frühstück schluckt er vorsorglich noch eine Schmerztablette, «damit ich meine Carving-Schwünge voll durchziehen kann», wie er Rosmarie erklärt. Damit seine wilde Entschlossenheit und Abenteuerlust auf der Piste auch sichtbar sind, lässt er sich im Winter immer einen Dreitagebart wachsen.

Schon am Morgen ärgert er sich wieder über Rosmarie. Optimiertes und effizientes Anstehen hat nichts mit Drängeln zu tun, findet er. Als ehemaliger Manager erkennt er jede Lücke und stösst entschlossen vor. Rosmarie, die zehn Minuten nach ihm beim Sessellift-Einstieg ist, findet das peinlich.

Der erste Hang ist flach und top präpariert. Fredy fährt auf seinem Schweizer Qualitätsski zügig wie immer. Marco Odermatt fährt das gleiche Produkt. Bei den Schwüngen greift er mit den Händen bewusst in den Schnee, das sieht noch mehr nach Carving aus, findet er.

Im eisigen Steilhang aber ist es vorbei mit der Dynamik. «Die Kanten sind nichts», erklärt er Rosmarie später auf der Terrasse der Skihütte. Dann wertet er auf seiner neuen Apple-Watch die Höhenmeter und die Spitzengeschwindigkeit aus. «76 Stundenkilometer Spitze. Nicht schlecht», sagt er zu Rosmarie.

Fredy ist enttäuscht, dass er in der Bergbeiz nicht mit Namen angesprochen wird und der Kellner nicht mehr weiss, dass er seinen Kaffee Zwetschgen nur mit einem Zucker trinkt. Aber er kommt mit einem anderen Ehepaar ins Gespräch. Und erklärt denen, dass in den letzten Jahren 190 Skigebiete in der Schweiz schliessen mussten. «Wegen des Klimawandels. Und all die Migranten haben auch keinen Bezug zum Skisport. Darum müssen wir diese Kultur wenigstens bewahren», erklärt er. 

Beim Abendessen versichert er Rosmarie, dass er im neuen Jahr schon im Sommer mit dem Aufbautraining beginnen werde. «Dann kann ich auch im Steilhang den Radius wie Marco Odermatt fahren», sagt er.

Seine Frau schüttelt den Kopf. Aber nur innerlich. Sie will nicht schon wieder Ärger.

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