Knall beim Turnverband! Nach den neuen Missbrauchsvorwürfen gegen mehrere STV-Trainer nimmt Spitzensport-Chef Felix Stingelin den Hut.
Der Baselbieter war suspendiert, seit BLICK im Sommer die Quäl-Vorwürfe von Rhythmischen Gymnastinnen publik gemacht hatte, die Nati-Cheftrainerin Iliana Dineva den Job kosteten. Am Wochenende kam es nun noch dicker. Im «Magazin» der Tamedia-Zeitungen schilderten weitere Kunstturnerinnen und Gymnastinnen schwerwiegende Fälle.
Nun also der Abgang von Stingelin. Man habe den Vertrag letzte Woche per 31. Oktober «im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst», teilt der Verband am Mittwochabend in einer knappen Stellungnahme mit. Zu den Details schweigen sich die Bosse aus. «Wir danken Felix Stingelin für sein grosses Engagement und seinen unermüdlichen Einsatz und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute», lässt sich STV-Zentralpräsident Erwin Grossenbacher bloss zitieren.
Die Frage, warum der Abgang erst am Mittwoch öffentlich gemacht wird, bleibt auf Nachfrage unbeantwortet. Kurios: Am Dienstag noch hatte der Verband wortreich angekündigt, die Vorwürfe gegen Kunstturn-Frauentrainer Fabien Martin von der neu gebildeten Ethik-Kommission untersuchen zu lassen. Dass Martins Chef gehen muss? Darüber verlor man kein Wort.
STV-Spitze muss bei Amherd antraben
Derweil hat die Affäre die höchste politische Ebene erreicht. Sportministerin Viola Amherd (58) kündigt in der «NZZ» an, sich einzuschalten. «Frau Amherd war erschüttert», so ein VBS-Sprecher über die neuen Enthüllungen vom Wochenende zu BLICK. «Ein solches Verhalten der Trainerinnen und Trainer ist inakzeptabel und nicht tolerierbar. Athletinnen und Athleten sind das schwächste Glied im Leistungs- und Spitzensport und müssen gut geschützt werden», sagt VBS-Chefin Amherd.
Die Konsequenz: Am Dienstag muss die STV-Spitze zusammen mit den Verantwortlichen des Dachverbandes Swiss Olympic in Bern antraben. CVP-Frau Amherd: «Wir prüfen, welche Sanktionsmöglichkeiten angezeigt sind, um solche Vorkommnisse zu vermeiden, und welche neuen Instrumente wie Frühwarnsysteme oder unabhängige Meldestellen zu schaffen sind.»
Damit sollen Fälle wie diejenigen, die sich unter Frauen-Nationaltrainer Fabien Martin zugetragen haben sollen, verhindert werden. «Fabien hatte verschiedene Strategien, uns fertig zu machen», hatte Ex-Turnerin Lynn Genhart dem «Magazin» gesagt. In Bezug auf ihr Essverhalten zum Beispiel. Der Franzose habe ihr auch gesagt, sie «sei als Mensch unfähig, ich sei dumm», so die Junioren-Vize-Europameisterin im Mehrkampf von 2014. «Man sagte mir, immer vor allen anderen: Was ich eigentlich das Gefühl hätte, wer ich sei, eine Topturnerin?! … Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass die Silbermedaille an der EM damals in Bern verdient war. Ich glaube heute, dass das einfach Glück war, weil alle um mich herum gestürzt sind.»
«Aufhören oder nicht?»
Genhart wurde depressiv, hatte Suizidgedanken. «Eines Abends sass ich in meinem Zimmer in Magglingen und überlegte: Aufhören oder nicht? Ich weinte, sass nur noch da. Mitten in der Nacht holte mich mein Papi. Wir gingen zum Notarzt. Die Diagnose: akute Depression. Ich hatte Suizidgedanken. Eine Weile mussten mich meine Eltern überallhin begleiten, weil sie Angst hatten, dass ich sonst nicht mehr heimkomme.»
Erschütternde Vorwürfe, die nun von der neu geschaffenen Ethik-Kommission des STV untersucht werden sollen. Der Verband betont, in den letzten 15 Jahren mit Trainer Martin «positive Erfahrungen» gemacht zu haben.
Auch Martin äussert sich in einer STV-Mitteilung erstmals zu den Vorwürfen. «Persönlich und generell habe ich die Trainings und Zusammenarbeit mit den beiden Athletinnen anders in Erinnerung», sagt er. «Ich sichere der unabhängigen Ethikkommission meine volle Kooperation zu.»