Sehr wohl zum Problem werden könnte in diesem Jahr die Auslosung für den Österreicher, nach dem Hammerlos zum Auftakt namens Marin Cilic könnten mit Reilly Opelka und Casper Ruud gleich zwei weitere Prüfsteine warten. «Die (Anm. Auslosung) ist natürlich richtig tough. Ich konzentriere mich sowieso nur auf die erste Runde: Marin Cilic. Das letzte Match in New York war richtig eng, obwohl es in vier Sätzen war, da sind wir knapp am fünften vorgeschrammt», so der Lichtenwörther.
Vom möglichen Halbfinalduell mit dem zwölffachen Paris-Champion Rafael Nadal will der Weltranglisten-Dritte jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt recht wenig hören. «Es war von Anfang an klar: wenn ich das Finale wirklich erreichen will, muss ich entweder Djokovic oder Nadal im Semi schlagen. Jetzt ist es halt Nadal auf meiner Hälfte oder ich bin in seiner, besser gesagt, aber der Weg dorthin ist ein richtig weiter.»
BLICK: Dominic Thiem, erstmals starten sie ein Major als Grand-Slam-Sieger. Was ist anders?
Dominic Thiem: Es hat sich für mich als Person nichts verändert. Aber im Tennis ist natürlich der grosse Druck abgefallen, den ich mir die letzten zwei, drei Jahre gemacht habe. Ich habe nun ein ganz, ganz grosses Karriereziel erreicht, das nimmt mir keiner mehr. Ich bin jetzt befreit und versuche, das Beste aus meiner Zukunft zu machen. Aber zunächst muss ich mit Marin Cilic den ersten Gegner bezwingen, in New York war diese Begegnung eine knappe Sache. Die Auslosung hätte für mich fast nicht schlechter kommen können.
Wie gross war die Erleichterung, im 4. Final nicht wieder verloren zu haben?
Da ich schon einige Male so nah am Titel stand, war der Gedanke natürlich da, es vielleicht nie zu schaffen. Vor allem nach den letzten Australien Open habe ich lange gebraucht, um die Final-Niederlage zu verdauen. Als ich mir dann gleich am nächsten Grand Slam wieder eine Chance erarbeitet habe, war ich schrecklich nervös. Ich war wohl noch nie so nervös vor einem Match. Und es war wirklich nicht einfach unter den speziellen Umständen in der Blase. Deshalb bin ich stolz und glücklich, dass es geklappt hat.
Fehlte Ihnen das Publikum sehr?
Die Fans fehlen immer. Es ist einfach schöner, in einem vollen Stadion zu spielen. Aber im Halbfinale und Finale haben wir uns leider schon ein bisserl dran gewöhnt. Hoffentlich schaff ich es nochmal in ein Finale vor Leuten.
Vor Flushing Meadows sagten Sie, dass ein weit kommen ohne die grossen Stars weniger wertvoll sei. Wie sehen Sie das jetzt?
Das wurde etwas falsch verstanden. Ich sagte nicht, dass es ohne Roger und Rafa weniger wert ist – das war ja nicht zum ersten Mal so. Aber ich wusste nicht, wie es unter den Umständen in der Bubble sein würde. Bei einem normalen Grand Slam kommt der ganze Stress drumherum dazu, das Herumfahren, in der Stadt wohnen, etc. Das gibt zwar auch Energie, aber es nimmt auch viel Energie. Aber wenn ich jetzt zurückschaue, wars wahrscheinlich mehr Stress, viereinhalb Wochen nur im Hotel und auf der Anlage zu sein, ohne Menschen im Stadion zu spielen. Es war mental wohl sogar ein noch schwierigerer Grand Slam als sonst.
In Paris ist mit Nadal der Beste vor Ort und könnte ihr Halbfinal-Gegner sein. Was haben Sie aus den letzten drei Paris-Niederlagen gegen ihn gelernt?
Die letztjährige Partie war wirklich gut, die ersten beiden Sätze waren wohl das Beste, was ich auf Sand in meiner Karriere gespielt habe. Sollte ich soweit kommen, kann ich mir das Match sicher zum Vorbild nehmen. Abgesehen davon ist ein fitter Nadal immer der ganz grosse Favorit in Paris, einfach weil er das Turnier schon zwölf Mal gewonnen hat und schlicht der beste Sandplatzspieler ist. Nach ihm kommt lange nichts.
Nadal ist für Sie auch in der Weltrangliste in Reichweite.
Das Ranking war immer mein kleineres Ziel. Noch ein Grand Slam zu gewinnen, ist grösser. Dem habe ich in meinem Kopf alles untergeordnet, deshalb schaute ich in letzter Zeit nur selten auf die Rangliste.
Wie viele Grand-Slam-Siege sollen folgen?
Ich bin realistisch, Federer, Nadal und Djokovic zu erreichen, wird sich nicht ausgehen. Natürlich will ich noch weitere grosse Titel gewinnen. Aber ich könnte jetzt auch beruhigt und ohne weinendes Auge zurückschauen auf meine Karriere, weil ich das ganz grosse Ziel erreicht habe.
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Sie sind sich schon bewusst, dass Sie die grosse Hoffnung der Schweizer sind, die anderen beiden von Federers Rekorden fernzuhalten?
Ich verspreche: Ich werde alles dafür geben, dass Roger die Nummer 1 bleibt! (lacht)
Nun stecken Sie in der nächsten Corona-Blase – ist diese Situation im Profitennis auf Dauer tragbar?
In der nahen Zukunft wird es wohl so weitergehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Corona ewig anhält. Es ist tragbar, ja, aber eine Pause dazwischen, wo man ins normale Leben zurückkehren kann, tut schon sehr gut. Dass zwei grosse Turniere so nahe beieinander stattfinden, ist eine Sondersituation. Ich hoffe sehr, dass bis Ende nächsten Jahres wieder alles normal abgeht.
Was ging zuhause in Österreich ab? Haben sie die kurze Pause in Freiheit genossen?
Nachdem ich von New York heimflog, habe ich erst einmal drei, vier Tage nichts gemacht, nur entspannt und Zeit mit der Familie verbracht. Dann begann ich, auf Sand zu trainieren und flog letzten Mittwoch nach Paris. Erst nach den French Open werde ich mich sicher richtig ausruhen. Zwischen den beiden Grand Slams musste ich aufpassen, nicht zu sehr herunterzufahren, die Spannung aufrecht zu erhalten.
War der Rummel um Deine Person in der Heimat gross?
Ich hatte direkt nach der Ankunft eine Pressekonferenz, danach nicht mehr so viel. Empfänge sind ja wegen Corona derzeit gar nicht möglich. Und eine grosse Feier werde ich irgendwann, vielleicht nach Paris nachholen. Was mich aber sehr gefreut hat: Die TV-Quoten waren zuhause sehr hoch, obwohl mein Match mitten in der Nacht stattfand!
Feiert man Sie jetzt als Federer Österreichs?
(lacht) Würde das mal einer sagen, hörte es sich sehr gut an! Das Einzige was an uns gleich ist, ist die einhändige Rückhand, würde ich sagen. Kein Spieler kann sich mit Roger vergleichen, er ist ein absolutes Unikat. Ein viel eleganterer und ästhetischer Spieler als ich. Aber er bleibt ein grosses Vorbild für uns alle.
Sie wirken bescheiden, bodenständig. Im Auftreten ähneln Sie sich also...
Er ist eben auch in dem ein Riesen-Vorbild. Unglaublich freundlich, sympathisch und privat sehr lustig. Natürlich will ich auch so sein, trotz Erfolg der Mensch bleiben, der ich immer war. Wenn die Leute das über mich sagen, bin ich glücklich. Dem Roger ist genau das gelungen.
Wie ist Ihr Verhältnis? Hat er Ihnen zu den US Open gratuliert?
Ja, er hat mir gratuliert, eine lange Nachricht geschrieben, was mich sehr gefreut hat. Wir haben auch sonst immer wieder Kontakt. Im Vorfeld der US Open telefonierten wir vor allem auch wegen der ATP-Geschichten immer wieder miteinander. Ich freue mich sehr, wenn Roger wieder auf der Tour ist. Das geht wohl jedem so.
Als einer von 7 deutschsprachigen Major-Siegern und als erster in vier Jahren, der nicht Federer, Nadal oder Djokovic heisst, fällt ihr Name nun in einem Atemzug. Stolz?
Das ist eine sehr grosse Ehre. Und es zeigt zugleich, was diese Drei im Tennis leisten. Es war aber sehr wichtig, dass es mal wieder ein frisches Siegergesicht gibt bei einem Grand-Slam-Turnier. Das war ja schon zum Zeitpunkt klar, als Djokovic in New York disqualifiziert wurde. Plötzlich kam ein ganz neues Gefühl auf. Hoffentlich wird sich das in nächster Zeit häufen.
Der Letzte vor Ihnen war Stan Wawrinka. Eigentlich erinnern Sie ja eher an den...
Es gibt tatsächlich Parallelen. Wir sind beide nicht besonders früh in die Top-Ten gekommen, auch er gewann erst mit 28 sein erstes Major. Und spielerisch ist der Stan auch schwer in Ordnung.
Stimmt es, dass er Ihr Vorbild wegen der Rückhand war?
Ja. Er hat für mich die beste einhändige Rückhand, wunderschön anzuschauen. Wenn man selbst so eine hat, gibt es Vieles, das man sich von Stan abschauen kann.
Trauen Sie Wawrinka mit 35 weitere Grosstaten zu?
Sicher, Anfang Jahr in Australien war er sehr gut drauf und ist sicher noch für den einen oder anderen Titel gut.
Wie oft werden Sie mit Thomas Muster verglichen?
Schon sehr oft auf ihn angesprochen. Weil ich vor dem US-Open-Sieg schon in drei grossen Finals stand, fragten sich alle, wann es nach Muster endlich wieder soweit sein würde. Er ist natürlich jemand ganz Besonderes bei uns, eine Legende mit absolut unglaublicher Karriere! Er war die Nummer 1, gewann als erster Österreicher einen Grand Slam und 44 weitere Turniere und löste damit einen grossen Tennis-Boom aus. Auch mir wäre es wichtig, wenn durch mich mehr Leute, vor allem Kinder zum Tennissport kämen.
Sie sind jetzt der Anführer der neuen Generation – sehen Sie und Ihre Konkurrenten das auch so?Ich bin jetzt 27 – also nicht mehr ganz die neue Generation! Aber ich hoffe, dass ich einen Stein ins Rollen gebracht habe. Mit Zverev, Medwedew und Tsitsipas gibt es mindestens drei Kandidaten, die einen Grand Slam gewinnen können. Es wäre schön, wenn ich da jetzt was losgetreten hätte. Ich glaube, die anderen sind auch froh, dass der Bann gebrochen ist. Sie haben jetzt gesehen, dass es möglich ist. Davor standen die grossen Drei immer im Weg.
Der Durchbruch geschah, nachdem sich Ihr Umfeld gewandelt hat. War Coach Nicolas Massu ausschlaggebend?
Nico ist sehr wichtig und bringt mir viel, das zeichnete sich ja schon Anfang 2019 ab, als wir die Zusammenarbeit begannen. Ich bin als Persönlichkeit gereift – auch weil er mir Freiheiten gibt und mich selbst Entscheidungen treffen lässt. Das spielt sich auf dem Platz aus und hat sehr geholfen mein Spiel auf ein neues Level zu heben. Vor allem auf den Hartcourts, beim Aufschlag, Return und Netzspiel. Das ist am Ende auch der Grund, dass ich meinen ersten Grand Slam nicht auf Sand-, sondern auf Hartplatz gewonnen habe. Nico und ich haben ein super Verhältnis!
Wie gross ist der Erfolgs-Anteil ihres Langzeit-Trainers Günther Bresnik?
Er hat mir sicher eine gute Basis gegeben, von der ich meine ganze Karriere hindurch zehre. Aber damit ich die Schläge, die ich von ihm gelernt habe, perfekt in Matches und in Punkte ummünze, brauchte es einen Massu. Ich denke, dass beide etwa gleich grossen Anteil an meinem Erfolg haben.
Und doch liegen Sie mit Bresnik im Rechtsstreit. Wie stark belastet Sie das?
Das ist sicher schade. Aber es gelingt mir gut, alles, was neben dem Platz passiert, auszublenden. Ich bin nicht der Typ, der so unschöne Dinge mit auf den Platz schleppt. Das ist wohl Charaktersache – andere können das nicht so gut, ich habe damit keine Probleme und das war auch wichtig. Die letzten eineinhalb Jahre war bei mir neben dem Tennis einiges los. Aber es hat mich nicht schlecht beeinflusst.