Die erste Standing Ovation gibt es schon vor dem Match, danach ist Zeit für Taschentücher und weitere Ovationen. Andy Murray wird vom Centre Court in Wimbledon verabschiedet. Mit vielen Emotionen, Gänsehautmomenten und Tränen, die niemand zurückhalten kann. «Ich möchte für immer spielen. Ich liebe diesen Sport, er hat mir so viel gegeben und mir über die Jahre viele Lektionen erteilt», sagt ein sichtlich berührter Murray. «Ich will nicht aufhören. Es ist also schwer.»
Mit Abschieden ist das beim schottischen Vorzeigekämpfer allerdings auch so eine Sache. 2019 gab er an den Australian Open unter Tränen seinen Rücktritt bekannt, weil die Hüfte nicht mehr mitmachte. Doch er kam – mit einem künstlichen Hüftgelenk – noch einmal zurück. Nun ist aber bald endgültig Schluss, nach den Olympischen Spielen, spätestens aber im Herbst. Der Körper des 37-Jährigen macht definitiv nicht mehr mit.
Wichtiges Doppel mit Bruder
Das Doppel an der Seite seines Bruders Jamie Murray (38) der 1. Runde ging gegen die Australier Rinky Hijikata/John Peers 6:7, 4:6 verloren, doch das war dann völlig egal. Offensichtlich bedeutete es Andy Murray sehr viel, dieses Doppel noch einmal mit seinem älteren Bruder bestreiten zu können. «Vorher hatte es nie geklappt.»
Roger Federer (42) war zuvor im Stadion, nach Spielende standen Grössen wie Novak Djokovic (37), John McEnroe (65), Martina Navratilova (67) oder Tim Henman (49) Spalier, als auf dem Videoschirm noch einmal die grössten Erfolge – und Tiefschläge – Murrays Revue passierten.
Vom verlorenen Wimbledon-Final 2012 gegen Roger Federer, als der Schotte mit seiner herzzerreissenden Rede die Herzen aller eroberte. «Ich bin nicht einer, der sich leicht öffnet», gab Murray zu. «Aber da sahen die Leute, wie viel mir dieser Sport und dieser Ort bedeutet.»
Federer, Nadal und Djokovic waren «ganz okay»
Bis zu seinen Triumphen, wieder gegen Federer, an den Olympischen Spielen in London und 2013 und 2016 endlich in Wimbledon. «Die drei waren ja ganz okay», meinte Murray in seinem trockenen Humor über Federer, Djokovic und Rafael Nadal (38). «Es war nicht grade das leichteste, an ihnen vorbeizukommen.»
Er erzählte auch, wie gross er den Druck gespürt habe, als er 2013 schliesslich als erster Brite nach 77 Jahren den Heim-Grand-Slam gewann. «2016 war deshalb schöner, das ist mein liebster Titel.» An die Feier dieses Triumphs kann er sich allerdings nicht mehr gross erinnern. Und er verrät: «Leider habe ich auf dem Weg nach Hause in das Taxi gekotzt.»
Ob es definitiv der letzte Auftritt auf dem Centre Court war, ist – wie das eben bei Murray-Abschieden so ist – noch nicht ganz sicher. Er spielt noch das Mixed-Doppel an der Seite von Emma Raducanu, der US-Open-Siegerin von 2021.
Mehr Zeit mit der Familie
Murray bedankt sich bei seinen Eltern, die ihm und seinem Bruder eine grossartige Unterstützung waren. Gleiches gilt für seine Frau Kim (36). Er freut sich darauf, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Seine Frau lernte Murray kennen, als er 18 Jahre alt war. «Sie schaute bei den US Open live bei meinem ersten Spiel zu», erinnert er sich. «Ich habe mich bei diesem Spiel zweimal übergeben. Einmal direkt vor ihr und dann in die Schlägertasche meines Gegners.»
Ein holpriger Start einer grossen Liebe. Denn er fügt an: «Aber sie mochte mich trotzdem. Danach wusste ich, dass ich sie nicht mehr loswerde.» Inzwischen haben die beiden vier Kinder und für Murray ist seine Frau «die beste Mutter». Auch wenn er über seine Frau spricht, blitzt der trockene Humor durch. «Leider wird sie mich in ein paar Monaten jeden Tag sehen müssen», sagt Murray. Und freut sich auf den Rest ihres gemeinsamen Lebens.