Es ist nicht schwierig zu verstehen, wie Stan Wawrinka funktioniert. Die Gebrauchsanleitung zu Stan ist für die ganze Welt zu lesen – auf seinem linken Unterarm tätowiert: «Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.» Auf Deutsch: Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuchs nochmals. Scheitere wieder. Scheitere besser.
Diese Sätze von Samuel Beckett liess sich Stan 2014 stechen. Diese Lebenseinstellung hat er wahrscheinlich bei seiner Geburt mitgekriegt. Viele auf der Tour spielen eleganter als Stan, sind beweglicher, haben ein besseres Timing oder mehr Ballgefühl – aber niemand sucht so beharrlich seine Grenzen; niemand ist so oft an seine Grenzen gestossen und hat sie endlich durch pure Willenskraft so weit verschoben wie er. Das ist sein besonderes Talent.
Niemand versucht, Stan Wawrinka zu kopieren
Während viele Junge versuchen, mit enormem Topspin auf der Vorhand wie Rafa zu spielen oder wie Novak im Spagat in die Ecken zu rutschen, habe ich noch nie einen Junior gesehen, der versucht hat, Stan zu kopieren. Stan besitzt zwar eine wunderschöne einhändige Rückhand, aber es sind eben nicht unbedingt seine Schläge oder seine Athletik, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es ist diese unglaubliche Energieleistung, die zu spüren ist im Stadion, wenn Stan wieder einmal einen seiner vielen Fünfsätzer spielt, die ihm mit Marathon-Mann einen seiner vielen Kosenamen eingetragen haben.
Diese Energie ist für die Zuschauer und den Gegner gleichermassen zu spüren. Sie ist ansteckend und stimmt nachdenklich: Wie macht er das bloss? Die Antwort ist nicht kompliziert. Was jeder im Stadion spürt, ist der ungefilterte Stan. Ein Mann, der alles getan hat, um bereit zu sein. Ein Mann, der manchmal verliert, aber nie wirklich scheitert. Ein Mann, der in jedem Match, Satz, Game, Punkt und Schlag alles gibt, weil er nichts anderes kennt.
Sein Geist ist stark, ist es auch sein geschundener Körper?