Man kennt sich seit Jahren, man schätzt sich durchaus. Aber die grosse Liebe? Wo denken Sie hin! So ungefähr stand es um die Beziehung von Stan Wawrinka (37) mit den Swiss Indoors. Wenn der Romand in Basel aufschlug, freute man sich auf ihn, den anderen Schweizer. Aber die Herzen gehörten Tennis-König Roger Federer (41), dem Sohn der Stadt, der deren Namen in die Welt hinaustrug. Und während Federer in Basel zehnmal den Sieger-Pokal in die Höhe stemmte, musste Wawrinka achtmal bereits nach Runde 1 die Koffer packen. Einmal verzichtete er sogar auf den Start in Basel, spielte stattdessen gleichzeitig in Valencia.
Jetzt ist Federer weg, Wawrinka wieder da. Und schon ist der Funke gesprungen. Als die Nummer 194 der Welt am Dienstag Shooting-Star Casper Ruud (No, ATP 3) vom Platz fegt, tobt die St. Jakob-Halle. Als er am Donnerstagabend gegen Brandon Nakashima (USA, ATP 44) ein Match gewinnt, das er bereits aus der Hand gegeben zu haben schien, haben manche Zuschauer feuchte Augen. Wawrinka selber ist ebenfalls den Tränen nahe. «Es ist mit Abstand die emotionalste Woche seit meinem Comeback», sagt die frühere Weltnummer 3 nach den Partien, bei denen in seiner Box auch seine Eltern und Tochter Alexia (12) dabei sind. «Ich habe hier noch nie so eine Ambiance erlebt bei meinen Spielen.»
Am Freitagabend wird die Halle bei seinem Auftritt wieder zur Festhütte, seine Punkte werden bejubelt wie Tore im Fussball. Vornehme Tennis-Zurückhaltung? Für Stan drehen alle durch.
Wawrinka litt jahrelang
Die Gründe dafür? Liegen zum einen in Wawrinkas Leidensgeschichte. 2017 legte er sich wegen eines Problems mit dem Knie unters Messer, 2021 musste er sich gleich zweimal am Fuss operieren lassen. Eine harte Zeit. «Die zweite Operation im Juni. Und im Dezember konnte ich immer noch nicht richtig gehen», schrieb er diesen Sommer in einem Artikel in der «Players Tribune». «Du beschäftigst dich mit all diesen unangenehmen Fakten, und jeder Fakt wirft eine neue Frage auf: Du kannst immer noch nicht gehen. Wann kann ich wieder rennen? Dir wird klar, du wirst nie wieder so gut, wie du mal warst. Macht es wirklich Sinn, weiterzumachen?»
Wie sich der dreifache Grand-Slam-Sieger zurückgekämpft hat, geht ans Herz. Dass er seine Emotionen nun zeigt, hilft auch. Und eben, Federer ist nicht mehr da. «Es sind alle ein bisschen traurig», sagt Wawrinka. «Die Tatsache, dass er aufhören musste, ohne wieder in Basel spielen zu können, führt dazu, dass das Publikum vielleicht noch etwas geniessen möchte, bevor unsere ganze Generation aufhört.»
Es sind also alle etwas gefühlsduselig, als Wawrinka im Viertelfinal auf den Spanier Roberto Bautista Agut trifft. Mit 5:7, 6:7 scheitert er. Doch eigentlich ist das Ergebnis am Ende gar nicht so wichtig. «Ich bin sehr glücklich über die Liebe, die ich erhalte», sagt er. «Das war in diesem Ausmass unerwartet.» Wawrinka und Basel, das hat gedauert – jetzt sind es grosse Gefühle.