Murray-Bruder schlägt Alarm – Günthardt nimmt Stellung
Stirbt das traditionelle Tennis-Doppel aus?

Doppelspezialist Jamie Murray sorgt sich ernsthaft um die Zukunft seines Bewerbs – und hofft auf dessen wundersame Aufwertung mittels neuen Anpassungen. Doch ist die Disziplin überhaupt noch zu retten?
Publiziert: 06.03.2024 um 12:53 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2024 um 16:17 Uhr
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Roger Federer und Stan Wawrinka bejubeln Doppel-Gold an den Olympischen Spielen 2008.
Foto: TOV
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Marco PescioReporter Sport

Der Schweizer Sport-Fan denkt beim Tennis-Doppel sofort an 2008. An jene legendäre Jubelszene, als sich Roger Federer (42) nach dem Gewinn von Olympia-Gold in Peking am brennenden Doppel-Partner Stan Wawrinka (38) die Hände wärmte. Oder an 2021, als Belinda Bencic (26) und Viktorija Golubic (31) in Tokio gemeinsam olympisches Silber holten. Nur fünf Jahre nachdem Martina Hingis (43) und Timea Bacsinszky (34) in Rio de Janeiro dasselbe gelungen war.

An den Olympischen Spielen ist die öffentliche Aufmerksamkeit fürs Doppel jeweils gross – kein Wunder, es gibt ja auch Edelmetall, das womöglich auch noch entscheidenden Einfluss auf den Medaillenspiegel hat. Eine ganze Nation fiebert mit. Genau wie im Davis Cup. Daneben aber fristet die Disziplin im Tennis-Zirkus nur noch ein Schattendasein.

Dass Hingis nebst ihren Einzelerfolgen auch im Doppel (und im Mixed) Weltklasse war, dürfte den meisten Beobachtern des Schweizer Sports noch geläufig sein. Dass die Ostschweizerin aber total 90 Wochen lang die Weltranglistenerste war, 13 Grand-Slam-Titel gewann und total 64 Turniersiege holte, wird wohl kaum einer einfach so aus dem Ärmel schütteln können.

Das kann man niemandem verdenken, schliesslich läuft das Doppel an den Turnieren jeweils nebenher. Wie eine Vorband zum eigentlichen Show-Act eines Konzerts. Kann cool sein, aber eigentlich ist man nicht deswegen da. Und genau daran stört sich Jamie Murray (38), der um ein Jahr ältere Bruder von Tennis-Legende Andy Murray.

Jamie Murray holte sieben Major-Titel im Doppel

Jamie ist Doppelspezialist und eine echte Nummer im Doppel-Game. Zwei seiner insgesamt sieben Major-Titel in Doppel und Mixed gewann er mit Hingis als Partnerin an seiner Seite (2017; Wimbledon und US Open). Nach seinem jüngsten Turniersieg beim ATP-Event in Doha hat er Alarm geschlagen: «Ich habe das Gefühl, dass das Doppel seinen Zweck oder Wert auf der Tour verliert. Es ist kein guter Weg, den wir jetzt gehen. Es fühlt sich so an, als ob einige Leute uns umbringen wollten.»

Murray lachte dabei – doch bei der Message dahinter ist es ihm ernst. Er habe Angst, dass irgendwann ein Grundsatzentscheid gegen die Doppel-Existenz gefällt würde: «Dass die Leute sagen: Das ist scheisse, das brauchen wir nicht!».

Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (65) überraschen diese Aussagen nicht, zumal der abnehmende Stellenwert kein neues Phänomen ist: «In meiner Generation hatten noch fast alle Doppel gespielt. Danach aber wurde im Einzel derart viel Geld verteilt, dass du als Spieler das Doppel gar nicht mehr gebraucht hast. Die Besten der Welt hörten also schon in den 90er-Jahren damit auf.»

Doppel-Spielplan soll überarbeitet werden

Er versteht den Frust von Murray, der in seiner Verzweiflung ein Dokument «mit all den Problemen» an die ATP verschickt hat. Der Schotte fordert eine Überarbeitung des Spielplans, für Einzelspieler solle es einfacher und attraktiver werden, sich doch wieder für ein Doppel einzuschreiben. Murrays konkreter Vorschlag: «Der Doppel-Bewerb sollte am Sonntag beginnen und das Endspiel am Freitag stattfinden.» Von diesem kompakteren Zeitplan würden auch die Fans profitieren, findet Murray.

Michael Lammer (41), der 2009 mit Partner Marco Chiudinelli (42) das Doppel-Turnier von Gstaad gewann, findet auch: «Mit Spielansetzungen kann man in dieser Hinsicht sicher viel gewinnen. Könnte man gewisse Doppel-Affichen auf einen Center-Court verlegen und sie nicht nur an Randzeiten und auf Aussenplätzen ansetzen, wäre dies schon mal ein erster Schritt.» Allerdings fügt Lammer, heute Headcoach Nachwuchsförderung bei Swiss Tennis, noch an, dass dies leichter gesagt als getan sei – zumal etwa die TV-Übertragungen hierbei ebenfalls ein Wort mitzureden haben.

Auch Günthardt, der sowohl im Doppel als auch im Mixed zweimaliger Grand-Slam-Sieger ist, bringt bei solchen Anpassungen eine Portion Skepsis mit. Zumindest, solange nicht auch das Preisgeld massiv aufgebessert würde: «Dem Bewerb fehlen die grossen Namen. Wie sollen sich die Fans denn damit identifizieren können? Die Lösung wäre also mehr Geld – denn die Spieler reagieren nur darauf. Doch auch das wird nicht passieren.»

«Negativspirale»

Und warum nicht? Weil erstens bezweifelt werden muss, dass die Rettung eines Mitläufer-Wettbewerbs auf der Tour über den Einzel-Goldesel gestellt wird. Und zweitens, weil die Turniere aktuell – und endlich – damit beschäftigt sind, den Frauen gleich viel Prämien auszuschütten wie den Männern.

Günthardt spricht von einer «Negativspirale», in der sich das Doppel seit Jahren, ja sogar Jahrzehnten befindet. Dreht sich der Bewerb also dem Aussterben zu? «Nein», glauben Günthardt und Lammer unisono. Letzterer verweist auf die Wichtigkeit des Doppels im Davis Cup: «Dort ist es hochattraktiv und sorgt gefühlt für die beste Stimmung im Rahmen des Nationen-Duells. Ausserdem spüren wir im Nachwuchs eine grosse Begeisterung für diese Disziplin – es macht den Kids viel Spass, im Team anzutreten.»

Doch auf höchster Stufe auf der Tour? Günthardt meint: «Ganz abgeschafft wird es auch dort nicht. Zu praktisch ist es doch, wenn an einem Final-Sonntag den Fans auch noch ein Doppel-Endspiel geboten werden kann.» Nach wirklich guten Nachrichten für Jamie Murray klingt all dies allerdings nicht.

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