Selbst der spanische König Felipe VI. biegt sich vor Lachen, als Wimbledonsieger Carlos Alcaraz auf dem Centre Court seine Siegesrede hält. Da gibt der 20-Jährige zum Besten, er habe nun zweimal vor seiner Königlichen Hoheit spielen dürfen und beide Male gewonnen. Er hoffe, dass er künftig noch öfter zu seinen Spielen kommen werde.
Alcaraz sorgt für so manchen Schmunzler, er verdribbelt sich in seiner Ansprache in rudimentärem Englisch immer wieder. Doch er macht dies auf so herrlich authentische und sympathische Art und Weise, dass er auch nach dem Spiel weiter Punkte gewinnt.
Erstaunlich: Alcaraz hat sich bereits zum US-Open-Sieger und zur jüngsten Weltnummer eins der Geschichte gekürt und er hat nun in Wimbledon die wichtigste und prestigeträchtigste Trophäe gewonnen – und doch wirkt er auf grosser Bühne manchmal noch etwas unbeholfen. Beim berühmten Champions Dinner, bei dem er zusammen mit Frauen-Siegerin Marketa Vondrousova (24) gewürdigt wird, meint er: «Nun gehe ich nach Murcia zurück, um wieder ein ganz normaler Junge zu sein.»
Die Region um die südspanische Stadt, abseits der grossen Metropolen, ist die Heimat von Carlos Alcaraz Garfia. Sie wird innerhalb des Landes gerne mal belächelt, wogegen sich Alcaraz schon oft gewehrt hat. «Murcia wird unterschätzt – weil die Leute einfach noch nie da waren. Dabei ist es schön bei uns. Wir haben Strände, Berge, gutes Wetter, gutes Essen», sagt der schon jetzt berühmteste Sohn der Provinz.
Alcaraz stammt aus El Palmar. Hier ist er geboren, aufgewachsen und zum Weltklassespieler herangereift. Als Zweitältester von vier Brüdern, die allesamt früh mit Tennis vertraut wurden, weil ihr Vater Carlos Alcaraz Gonzalez einst selbst Tennisprofi war (Platz 963 als höchstes Ranking) und später dann eine Tennisakademie eröffnete.
Alcaraz wohnt laut der «Sun» nach wie vor in El Palmar – bei Papa Carlos Senior, Mama Virginia und seinem jüngsten Bruder Jaime (11), dem ebenfalls riesiges Talent nachgesagt wird. Die Familie soll in einer Wohnung oberhalb eines Kebab-Ladens hausen, was die britische Boulevardzeitung prompt als Steilvorlage zum Wortspiel «Wimble-Döner» erkannt hat. Über eine Freundin ist nichts bekannt. «Carlitos» oder «Charlie», wie er genannt wird, erklärte im Februar gegenüber der «Vogue», er sei Single.
Ferrero machte ihn zum «kompletten Spieler»
Alcaraz wurde schon im Alter von 13 Jahren vom Vermarktungsriesen IMG unter Vertrag genommen. Berater Albert Molina (52) ist seither einer seiner engsten Begleiter, genauso wie Hauptcoach Juan Carlos Ferrero (43), der einst ebenfalls die Nummer eins der Welt war und Alcaraz nunmehr seit fünf Jahren betreut.
Ferrero hat es geschafft, den Rohdiamanten Carlos Alcaraz so zu schleifen, dass dieser auf der Tennis-Tour nun am stärksten von allen funkelt. Wimbledon-Finalgegner Novak Djokovic (36) meinte über seinen Bezwinger, er vereine die Stärken von Roger Federer (41), Rafael Nadal (37) und ihm selbst: «Ich glaube, er hat im Grunde das Beste aus allen drei Welten. Ich habe noch nie gegen jemanden wie ihn gespielt. Er ist ein kompletter Spieler.»
Alcaraz beherrscht alle Schläge, er verblüfft mit seinen irrwitzigen Geschossen, seiner Explosivität, den extremen Winkeln, den feinen, gefühlvollen Stoppbällen. Der junge Mann bietet Spektakel – und zwar immer. Das liegt an seinem angriffigen, lustvollen Spiel.
Je länger er in den letzten Jahren erfolgreich war, wurden die Vergleiche mit Landsmann Nadal immer häufiger. Alcaraz, der früher Federer als sein grosses Vorbild angab, antwortet seit jeher immer gleich: «Es ehrt mich, mit ihm verglichen zu werden. Aber ich will nicht Rafa sein. Ich möchte meine eigene Geschichte schreiben.»
Er lebt nach dem Motto, das er sich auf den linken Unterarm tätowieren liess. Da steht dreimal der Buchstabe «C», für «Cabeza, Corazon, Cojones». Also: Kopf, Herz, Eier. Alle drei Dinge zeige Alcaraz auch auf dem Platz, meinte Stefanos Tsitsipas (24) im Frühjahr. «Er ist mental stark, arbeitet extrem hart – und seine Kraft, Flexibilität und Geschwindigkeit auf dem Platz sind immens.»
Stechen liess sich Alcaraz die drei Buchstaben von Star-Tätowierer Joaquin Ganga, der wie er aus El Palmar stammt und auch andere Superstars wie Basketball-Legende LeBron James (38) oder die R&B-Künstler Drake (36) und Chris Brown (34) zu seiner Kundschaft zählt.
Extravaganter Kleidungsstil und eine Rolex am Arm
Agent Molina fädelte zudem schon früh grosse Verträge mit Top-Marken ein. Nike sorgt dafür, dass Alcaraz stets auch abseits des Platzes durchgestylt auftritt. Nicht selten dringt bei ihm der Hang zu grellen Farben durch. In Madrid erschien er in Orange zu einem Medientermin, in Paris in Pink. Sein Handgelenk ziert zudem eine Rolex; in Wimbledon ist es eine «Cosmograph Daytona» in Gelbgold im Wert von über 100'000 Franken.
Dieser Luxus ist längst Teil des Business, aber er steht auch im Kontrast zum Bild des netten Jungen von nebenan, das er abgibt. Zu jenem Jungen, der grosser Real-Madrid-Fan ist, gerne NBA schaut oder Golf spielt und auch zu einer Partie Schach nicht Nein sagen kann – weil ihn das Brettspiel so sehr ans Tennis erinnert: «Wenn man für einen Moment die Konzentration verliert, kann das ganze Match verloren gehen.» Alcaraz liebt die Herausforderung. Und die bisher wohl grösste seines Lebens hat er in Wimbledon soeben mit Bravour bestanden.