Blick-Tennisexperte Günthardt
Alcaraz ist reif für den grossen Coup

Ist Titelverteidiger Novak Djokovic in Wimbledon dieses Jahr zu schlagen? Schlägt die Stunde von Carlos Alcaraz auf dem heiligen Rasen? Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt schätzt die Ausgangslage vor den Männer-Halbfinals ein.
Publiziert: 14.07.2023 um 10:28 Uhr
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Novak Djokovic war der Wimbledon-Überflieger der letzten Jahre.
Foto: Getty Images
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Heinz GünthardtBlick-Kolumnist

Novak Djokovic geht als der grosse Favorit in die entscheidende Phase der diesjährigen Wimbledon-Ausgabe. Er hat das Turnier seit Jahren dominiert und strotzt nur so vor Selbstvertrauen. Aber trotzdem ist der 36-Jährige nicht unantastbar.

Das Standard-Level von Djokovic ist so hoch, dass es gegen den Grossteil des Teilnehmerfeldes reicht, auch wenn die Gegner am Leistungslimit spielen. Aber Standard wird definitiv nicht reichen gegen den Halbfinal-Widersacher Jannik Sinner oder gegen die möglichen Endspiel-Gegner Carlos Alcaraz oder Daniil Medwedew. Gegen diese drei hat auch der Serbe keine Marge mehr, wenn sie einen perfekten Tag einziehen. Dann muss auch Djokovic am Leistungslimit spielen.

Und das ist auch für den 23-fachen Grand-Slam-Sieger nicht selbstverständlich. Wir alle haben es 2021 an den US Open gesehen: Djokovic hätte mit einem Finalsieg den Kalender-Grand-Slam schaffen können. Doch selbst er hielt diesem Druck nicht stand, verlor in drei Sätzen gegen Medwedew, der damit schon einmal bewiesen hat, dass er Novak in einem Major-Final bezwingen kann.

Druck wird Djokovic auch diesmal spüren. Nicht nur, weil der Kalender-Grand-Slam 2023 noch möglich ist. Auch, weil jeder in der Tennis-Welt seinen Sieg erwartet – und vor allem: weil er zu Wimbledon-König Roger Federer (acht Titel) aufschliessen könnte. Djokovic weiss, was auf dem Spiel steht.

Ausserdem hat er auf mich nicht den Eindruck des Unverwundbaren gemacht. Er verlor Sätze gegen Hubert Hurkacz und Andrey Rublew – das kriegt die Konkurrenz mit. Sinner ist fähig, den Ball extrem schnell zu machen. Er könnte die Ballwechsel gegen Djokovic dominieren. Und seine Rückhand ist jener von Djokovic mindestens ebenbürtig.

Und Alcaraz? Er war im French-Open-Halbfinal gegen Djokovic verkrampft, zerbrach am Druck. Doch das wird ihm nicht ein zweites Mal passieren. Auch ich machte eine solche Erfahrung, als ich in Rom als absoluter Neuling auf der Tour gegen die damalige Weltnummer fünf Harold Solomon antrat und überhaupt nichts zustande brachte: Ich verlor 0:6, 0:6. Zwei Jahre später aber begegnete ich ihm erneut. Diesmal im Final von Springfield, Massachusetts – und ich gewann das Turnier. Solche Lektionen bringen dich im Leben weiter. Du hast zwar versagt, aber du wächst dabei. Darum glaube ich, dass Alcaraz reif für den grossen Coup in Wimbledon ist. Die Athletik und Technik, um Djokovic zu schlagen, hat er sowieso.

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