Die Franzosen lieben Roger Federer. Wegen seiner eleganten Ausstrahlung, seinem fliessenden Französisch. Besonders wegen seines Tennisstils, der im Land seit über 20 Jahren die Ansprüche prägt, wie Frankreichs Profi Gilles Simon im Buch «Ce sport qui rend fou» (Der Sport, der verrückt macht) in einem Kapitel erklärt. Als Gegner Federers sei er im eigenen Land der Aussenseiter, schreibt er frustriert. Wegen Roger habe man in dieser tennisverrückten Nation sogar die Davis-Cup-Finalniederlage in Lille 2014 verkraftet. Hauptsache, der Maestro spielt.
Nun kam er wieder – sah und siegte dreimal – aber das wars. Unverletzt, nur um Wimbledon nicht zu riskieren, beendet er seinen Lauf in Roland Garros. Allein ein Grand-Slam-Event als Vorbereitungsturnier zu degradieren, grenzt an Majestätsbeleidigung. Können ihm die stolzen Franzosen das verzeihen?
Tristesse statt Überraschung
«In Frankreich ist die Bewunderung für Roger so gross, dass sie nicht gleich in Zorn umkippt», erklärt der Journalist der französischen Sportbibel «L'Équipe», Julien Reboullet. Natürlich sei die «Tristesse» gross, die Meinung kontrovers. «Einige finden, es mangelt an Respekt für Roland Garros. Andere erinnern, der Schweizer habe im Vorfeld ja gewarnt, sich nur auf die Rasensaison vorzubereiten.» Die Überraschung sei also nicht riesig. «Und doch löst sie hier und da ein Knurren aus.»
Bestimmt auch bei Guy Forget. Dieser sei sicher etwas wütender, als er im diplomatischen Communiqué zugibt, sagt der mit dem French-Open-Turnierdirektor eng verbundene Insider. «Forget hoffte, seinem Publikum am Mittwoch, wenn die Corona-Regeln entschärft und die erste Nightsession vor Fans stattfinden werden, einen Viertelfinal Djokovic – Federer zu bieten. Das dürfte sein Bedauern noch steigern», so Reboullet. «Aber dass Federer ihm erklärte, sie würden sich wahrscheinlich in Paris Bercy sehen, half wohl, die bittere Pille zu schlucken.»
Roger vertröstet seine Fans der Grande Nation auf das Masters-1000-Turnier im Herbst. Statt in seiner Heimatstadt Basel zu spielen, wo die Swiss Indoors ein zweites Mal der Pandemie zum Opfer fallen, plant er einen Hallenauftritt in seinem Adoptivland. Das sind auch für die Schweiz gute Neuigkeiten: Scheinbar hegt der dann 40-Jährige keine Absichten, nach Wimbledon und Olympia die Karriere zu beenden.