Coach Kindlmann hat Stricker wieder fit gemacht
«Wenn es zu spassig wird, schreite ich ein»

Er war Sparring-Partner von Maria Scharapowa, führte Madison Keys in den US-Open-Final und war Coach von Angelique Kerber. Jetzt will er Dominic Stricker nach dessen halbjährigem Vollstopp wieder in die Spur bringen. Dieter «Didi» Kindlmann im grossen Interview.
Publiziert: 01.07.2024 um 18:37 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2024 um 07:36 Uhr
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«Didi» Kindlmann erzählt im Gespräch, wie der Fussball und die EM das grosse (Streit-)Thema im Team Stricker ist.
Foto: Sven Thomann

Unter dem deutschen Ex-Profi Dieter Kindlmann(42) hat Dominic Stricker (21, ATP 149) im Vorjahr den Durchbruch auf höchster Ebene geschafft. Jetzt gibt der junge Berner in Wimbledon nach langer Verletzungspause – und einem Monat Angewöhnungszeit auf Challenger-Stufe – das Comeback auf der ganz grossen Bühne. Blick hat Coach Kindlmann vor Strickers Auftaktpartie am Dienstag gegen Arthur Fils (Fr) zum Gespräch getroffen. 

Blick: Dieter Kindlmann, sind Sie froh, sind im EM-Achtelfinal sowohl die Schweiz als auch Deutschland weitergekommen? Des Teamfriedens zuliebe…
Dieter Kindlmann: Absolut! Ich bin immer für die Schweiz, solange sie nicht gegen Deutschland spielen. (Lacht.) Nein, im Ernst: Ich finde, die Schweizer machen es derzeit deutlich besser als die Deutschen. Wobei…

Ja?
Ich habe vor dem Duell der Schweiz mit Deutschland (1:1, d. Red.) natürlich grosse Sprüche geklopft – und angekündigt, man müsse bei einer Schweizer Niederlage dann Privates und Berufliches trennen können bei der Arbeit. Doch am Ende musste ich froh sein, dass wir noch in der Nachspielzeit ein Tor machten. Und ich muss sagen: Ich bin wirklich begeistert ob den Schweizern!

Sie sind grosser Bayern-Fan, Dominic Stricker hält zu YB. War der Fussball während der langen Verletzungspause eine willkommene Ablenkung?
Ganz klar. In solch schwierigen Zeiten musst du Themen finden, die Spass machen. Fussball ist unser Dauerthema. Wir hoffen, dass Bayern in der Champions League auf YB treffen wird. Das wäre unser Traum. Daneben haben wir während der Reha-Phase in Winterthur andere Sportarten genauer kennengelernt. Wir schauten uns die Handballer von Pfadi Winterthur an, setzten uns mit Unihockey auseinander. Und wir trafen im Training auf Schwinger Samuel Giger. Von diesem Austausch konnten wir sehr profitieren.

Wie blicken Sie persönlich auf die halbjährige Geduldsprobe wegen Strickers Rückenverletzung zurück?
Diese Phase war hart und traurig. Der abrupte Vollstopp nach dem grossartigen letzten Jahr war extrem frustrierend. 2023 erreichten wir alle unsere Ziele: Domi stiess in die Top 100 vor, schaffte es in die Grand-Slam-Hauptfelder, er schuf sich eine gute Ausgangsposition für das aktuelle Jahr und belohnte sich gar mit den NextGen-Finals. Und dann folgte diese Verletzung, die einfach nicht wieder gut werden sollte. Immer wieder verschoben wir das Comeback. Wir mussten uns fragen: Machen wir alles richtig? Kehrt er zu früh zurück? Wann ist der beste Zeitpunkt? Für mich persönlich war es ebenfalls schwierig, weil ich ein sehr ehrgeiziger Typ bin. Ich möchte viel mit Domi erreichen.

Stricker sagt, er bewege sich nach der Reha nun so leichtfüssig wie noch nie. Wie weit sehen Sie ihn?
Domi hat klare Fortschritte gemacht, keine Frage. Er ist auf dem richtigen Pfad, er ernährt sich besser, achtet mehr auf sich. Diese Entwicklung ist bemerkenswert. Aber ich bin Perfektionist – und sage gleichzeitig, dass es auch noch ein weiter Weg für ihn ist. Für mich ist das erst der Anfang. In Domi steckt noch mehr.

Dieter Kindlmann persönlich

Dieter «Didi» Kindlmann wurde am 3. Juni 1982 in Sonthofen (De) geboren. Er wurde Tennis-Profi und erreichte 2004 mit Platz 130 seine beste Klassierung im ATP-Ranking. Er war Sparring-Partner von Maria Scharapowa – und arbeitete als Coach mit weiteren Top-Spielerinnen wie Anastasia Pavlyuchenkova (Wimbledon-Viertelfinal 2016), Laura Robson, Madison Keys (US-Open-Final 2017), Elise Mertens, Ajla Tomljanovic, Angelique Kerber und Aryna Sabalenka. Seit dem Frühjahr 2023 betreut er Dominic Stricker.

Dieter «Didi» Kindlmann wurde am 3. Juni 1982 in Sonthofen (De) geboren. Er wurde Tennis-Profi und erreichte 2004 mit Platz 130 seine beste Klassierung im ATP-Ranking. Er war Sparring-Partner von Maria Scharapowa – und arbeitete als Coach mit weiteren Top-Spielerinnen wie Anastasia Pavlyuchenkova (Wimbledon-Viertelfinal 2016), Laura Robson, Madison Keys (US-Open-Final 2017), Elise Mertens, Ajla Tomljanovic, Angelique Kerber und Aryna Sabalenka. Seit dem Frühjahr 2023 betreut er Dominic Stricker.

Sie gelten als «Fitnessfreak». Stricker meinte kürzlich, er wäre froh, wenn er in Ihrem Alter einst so fit wäre wie Sie.
Uff. Eines muss man hier klar festhalten: Ich war nie so talentiert wie Domi. Klar, ich war körperlich gut beieinander, doch spielerisch war ich von seinen Qualitäten weit entfernt. Eine gute Fitness war mir allerdings immer wichtig. Ich versuche auch mit 42 noch ein gewisses Level zu halten. Und ich versuche, mit gutem Beispiel vorauszugehen.

Wie?
Wenn ich etwas von jemandem erwarte, finde ich es wichtig, dass ich selbst mitziehe. Ich kann nicht eine Cola vor Domi trinken, ich kann nicht Fast Food vor ihm essen. Das wäre ein falsches Zeichen. Und ich habe während dem letzten halben Jahr die Vorbereitung ebenfalls mitgemacht. Ich kann Ihnen sagen: Ich war abends tot. (Lacht.)

Stricker bevorzugt die spielerischen Varianten im Training, daraus macht er keinen Hehl. Wie haben Sie es geschafft, ihn während der eintönigen Reha-Zeit bei Laune zu halten?
Natürlich, Domi ist einer, der gerne zockt. So tickt er einfach. Der Gym-Keller ist nicht sein Lieblingsort und das wird er auch nie sein. Aber das ist auch kein Problem. Man muss Domi nehmen, wie er ist. Er ist eine Frohnatur, ein guter Typ. Die Kunst ist es, ihm eine eigentlich trockene Einheit anders zu verpacken. Wir haben im Training Abwechslung eingestreut. Sei es mit dem erwähnten Austausch in Winterthur mit anderen Sportarten oder dann halt mit spielerischen Formen.

Stricker hat im Vorjahr in Wimbledon und an den US Open gezeigt, dass er unter Druck performen kann. Braucht er die grosse Bühne?
Ich glaube schon, dass er das liebt und dafür gemacht ist. Doch heuer ist die Situation ganz anders – das möchte ich hier klar betonen. Nach der Verletzungspause befinden wir uns jetzt in einem Übergangsjahr. Wir müssen jetzt mit kleinen Schritten zufrieden sein.

Was braucht Stricker noch, um wieder auf sein altes Niveau zu kommen?
Matchpraxis und Selbstvertrauen. Und dann gehts auch um Details. Dass er – wie zuletzt gegen David Goffin in Ilkley (Gb) – die Tiebreaks nicht so einfach verliert beispielsweise. Das darf nicht passieren auf diesem Niveau, aber das wissen wir alle.

Wie läuft da die teaminterne Kommunikation ab? Wann wissen Sie, dass Sie loben müssen, wann unangenehme Dinge ansprechen?
Ich versuche immer, ihm gut zuzusprechen. Ich möchte ihn so gut wie möglich unterstützen. Aber wenn ich merken würde, dass es mittelfristig in eine falsche Richtung geht, wenn es mal zu spassig werden sollte, dann schreite ich schon ein. Domi ist noch jung und braucht klare Ansagen. Für alle im Team ist klar: Ich bin nicht da, um ihm Honig um den Mund zu schmieren. Ich möchte mit ihm maximalen Erfolg haben – und er mit mir.

Welche neuen Ziele haben Sie ausgerufen?
Hätte er sich letztes Jahr nicht verletzt, hätte ich für 2024 den Angriff auf die Top 50 angepeilt. Nun aber befinden wir uns erst einmal im Überlebenskampf. Wir haben noch kaum Punkte gewonnen. Wir versuchen, uns so aufzustellen, dass wir Ende Jahr wieder in einer guten Position sind. Wenn er da in den Top 200 stehen würde, wären wir alle happy.

Sie sind die Aufgabe im Team Stricker mit einem grossen Erfahrungsrucksack angetreten. Sie haben zahlreiche Top-Spielerinnen betreut. Was konnten Sie aus jener Zeit mitnehmen?
Extrem viel. Das war die beste Ausbildung, die ich machen konnte. Ich durfte anderen Trainern über die Schultern schauen, wurde in Entscheidungen miteingebunden, trug aber noch keine Verantwortung. Was ich von Spielerinnen wie Maria Scharapowa gelernt habe, war für mich sehr wertvoll. Es ging um die mentale Einstellung, akribische Detailarbeit, Optimierungen auf allen Ebenen. Es waren zehn total schöne Jahre. Und ich habe gelernt, dass man immer noch viel aus sich herausholen kann. Darum sage ich auch im Fall von Domi: Wir sind erst auf Stufe drei von fünf. Er hat noch so viel Potenzial.

Kommt man mit Klartext im Tennis am weitesten?
Ja und nein. Man muss schon den richtigen Zeitpunkt treffen. Das hat mich auch schon mal eine Kündigung gekostet. Das Timing zu finden, ist nicht immer einfach. Ich weiss jetzt: Die Weichspüler-Methode bringt gar nix. Aber nur draufhauen ebenso nicht. (Schmunzelt.)

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