Blick-Wegbegleiter reiste mit Rafael Nadal 21 Jahre um die Welt
Der denkwürdige Aufstieg zur Tennis-Legende

Rafael Nadal steht diese Woche am Davis-Cup zum letzten Mal als Aktiver auf dem Platz. Blick-Mitarbeiter und Buch-Autor Sebastián Fest interviewte die Tennis-Legende während zwei Jahrzehnten regelmässig. Hier schildert der Argentinier seine eindrücklichsten Momente.
Publiziert: 14:13 Uhr
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Abschied beim Davis-Cup: Tennis-Legende Rafael Nadal spielt diese Woche mit dem spanischen Team seine letzten Partien. Am Dienstag wartet im Viertelfinal Holland.
Foto: Getty Images for ITF
Sebastián Fest

Der Raum war weiss, sehr weiss. So weiss, dass die Atmosphäre unerträglich war, gesättigt vom Geruch frischer Farbe.

Ich war allein und wartete auf jemanden, den ich sehr gut kannte, mit dem ich aber bis dahin noch nie gesprochen hatte. Es war der 17. August 2004, mitten an den Olympischen Spielen in Athen, und Carlos Moyá öffnete die Tür und brachte ein Wunderkind praktisch an der Hand mit: Rafael Nadal.

In dieser Nacht in Griechenland war es Moya, der die Hauptlast des Gesprächs trug. Wir kannten uns gut: Ich hatte ihn seit Jahren auf der Tour verfolgt und für die Nachrichtenagentur DPA, bei der ich damals arbeitete, über ihn geschrieben.

Der junge Rafael hatte gerade in Polen, im Seebad Sopot, seinen ersten Titel auf der grossen Tour gewonnen. Es war unmöglich, sich vorzustellen, was der Mallorquiner alles erreichen würde, aber es war klar, dass da etwas Besonderes war, jemand ganz Besonderes. Dieser Nadal der Anfänge blickte noch oft zu Boden, niedergedrückt von einer Schüchternheit, die sich in dem Moment verflüchtigte, in dem er den Platz betrat.

Nadal zeigt seine glühende Fussball-Leidenschaft

Er war ein anderer Mann, weniger als drei Jahre später, als wir uns in der Cafeteria des Dubai Aviation Club trafen, an einem Nachmittag im März 2008, als er in einer halben Minute und ohne zu zögern seine ideale Mannschaft der aktuellen Fussballer zusammenstellte. Er zeigte, dass er sich gut auskannte, denn nachdem er Robinho auf die rechte Stürmerposition gesetzt hatte, strich er den Namen durch und ersetzte ihn durch einen anderen: Lionel Messi.

Davis Cup, Final-Woche in Malaga

Viertelfinals:

Holland – Spanien (Dienstag, 17.00 Uhr)

Deutschland – Kanada (Mittwoch, 12.00 Uhr)

USA – Australien (Donnerstag, 10.00 Uhr)

Italien – Argentinien (Donnerstag, 17.00 Uhr)

Halbfinals:

Holland/Spanien – Deutschland/Kanada (Freitag, 17.00 Uhr)

USA/Australien – Italien/Argentinien (Samstag, 13.00 Uhr)

Final:

Sonntag, 16.00 Uhr

Viertelfinals:

Holland – Spanien (Dienstag, 17.00 Uhr)

Deutschland – Kanada (Mittwoch, 12.00 Uhr)

USA – Australien (Donnerstag, 10.00 Uhr)

Italien – Argentinien (Donnerstag, 17.00 Uhr)

Halbfinals:

Holland/Spanien – Deutschland/Kanada (Freitag, 17.00 Uhr)

USA/Australien – Italien/Argentinien (Samstag, 13.00 Uhr)

Final:

Sonntag, 16.00 Uhr

Der Brasilianer war ein Real-Spieler und Messi war ein Spieler von Barcelona, obwohl das für Nadal nie eine Rolle spielte. Er hat zwar seine «Real-Super-Fan»- Momente, aber er sieht und versteht Fussball in der Tiefe und jenseits der Klubfarben. Dazu kommt, dass er selber tatsächlich auch sehr gut kickt. Man muss nur einen Spaziergang durch YouTube machen, um einige seiner Tore und Spielzüge aus seiner Jugend zu bewundern. Damals, als er es sich noch leisten konnte, Fussball zu spielen.

In diesem Gespräch wirkte Nadal bereits deutlich erwachsener. Ich habe ihn immer wieder getroffen. In Manacor, wo er als Tennisspieler geboren wurde, oder im Familienrestaurant in Porto Cristo, Mallorca. Er war schlecht gelaunt, schlaflos in der Lobby des Intercontinental Hotels in Miami. Oder er strahlte mit seiner Freundin in der kalten, grauen Spielerlounge von Paris-Bercy, entspannte sich im Freien inmitten der Üppigkeit des Princess Hotels in Acapulco und war ernst und müde im Monte Carlo Country Club, als wir uns mit dem Blick direkt aufs Mittelmeer unterhielten. 

Autor Sebastián Fest persönlich

Der Argentinier Sebastián Fest (53) ist Sport-Journalist und Buch-Autor. Für verschiedene internationale Arbeitgeber berichtet er seit 1996 von allen Olympischen Spielen, allen Fussball-Weltmeisterschaften und von über 60 Grand-Slam-Turnieren. Heute ist Fest Korrespondent in Buenos Aires für die spanische Zeitung «La Nación». Der Fussball- und Tennis-Experte schreibt bei Blick seit Jahrzehnten als freier Mitarbeiter.

Der Argentinier Sebastián Fest (53) ist Sport-Journalist und Buch-Autor. Für verschiedene internationale Arbeitgeber berichtet er seit 1996 von allen Olympischen Spielen, allen Fussball-Weltmeisterschaften und von über 60 Grand-Slam-Turnieren. Heute ist Fest Korrespondent in Buenos Aires für die spanische Zeitung «La Nación». Der Fussball- und Tennis-Experte schreibt bei Blick seit Jahrzehnten als freier Mitarbeiter.

Eine besonders freundliche Begegnung blieb mir vom Jahr 2015 in Erinnerung. Nach achtzehn Jahren in Spanien war ich nach Buenos Aires zurückgekehrt, um die Stelle als Leiter der Abteilung Sport der Zeitung «La Nación» anzutreten. Die Wendungen des Lebens: Eigentlich sollte ich als Korrespondent für die Agentur DPA nach Washington gehen, aber die Pläne änderten sich.

Toni Nadal war von meinem vermeintlichen Abschied schockiert

Im Januar 2015, überzeugt davon, dass mein journalistischer Geist bald auf das Weisse Haus und nicht auf Roland Garros gerichtet sein würde, berichtete ich über die Australian Open und erklärte der Familie Nadal, dass ich mich vom Tennis verabschiede, zumindest von der Intensität, mit der ich dem Filzball bis dahin verfolgt hatte. Toni Nadal, der von meinem Wechsel vom Spitzensport zur Spitzenpolitik wirklich schockiert war, fand sehr nette Worte für mich, und kurz darauf erhielt ich ein unerwartetes Geschenk: Nadals Schläger.

Ich habe ihn vier Jahre lang nicht angerührt, und es kam mir wie ein Sakrileg vor, dass mein eigenes Tennis mit diesem Schläger in Verbindung gebracht werden sollte. Aber eines Tages beschloss ich, es zu versuchen. Ich war überrascht.

Zurück ins 2015. Im Juni, als meine Pläne für Washington für eine Weile auf Eis gelegt waren, nahm ich an Nadals Pressekonferenz in Wimbledon teil, nachdem er in der ersten Runde gegen den Brasilianer Thomaz Bellucci einen klaren Sieg errungen hatte.

Einen Monat zuvor war «Sin Red» veröffentlicht worden. Das Buch, in dem ich die Rivalität zwischen Nadal und Roger Federer, der grössten überhaupt im Herrentennis, aufschlüssele. Am Ende der Pressekonferenz kommt Nadal hinter dem Pult hervor, an dem die Spieler normalerweise sprechen, und kommt zu meinem Platz, um mich zu begrüssen. Sehr zum Erstaunen einiger angelsächsischer Kollegen im Raum.

Er wusste, dass ich wieder in Buenos Aires lebte. Sanft begrüsste er mich in meinem neuen Leben. Ich hatte ihm ein Exemplar von «Sin Red» geschickt.

Hast Du es bekommen, hast Du es gelesen? 

Ja, ja. Ich habe es bekommen. Und ich muss sagen, ich habe ziemlich viel gelesen, ziemlich viel für meine Verhältnisse. 

Was hältst Du davon? 

(grinsend) Ich habe es genossen... 

Sieben Jahre später, im November 2022, in Buenos Aires, war Nadal in bester Stimmung. Der frischgebackene Vater war nach Argentinien gereist, um ein Freundschaftsspiel mit dem Norweger Casper Ruud zu bestreiten. Während ich darauf wartete, mich mit dem Norweger, der eine erstaunliche Saison hinter sich hatte, hinzusetzen und mit ihm zu sprechen, ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und neben meinem Ohr.

«Sebastián, hör auf, die Leute anzulügen», hörte ich. Es war Nadal. Es war eine Weile her, dass wir uns gesehen hatten, Verletzungen und Pandemien einmal beiseitegelassen, und diese Herangehensweise, die zwischen Wärme und Ironie schwankte, war sehr typisch für ihn. Das trug seine Handschrift. Und es war eine gute Art, sich zu begrüssen, ohne viel mehr zu sagen.

Ich hatte das Glück, mit Nadal auf Spanisch, unserer gemeinsamen Muttersprache, und mit Roger Federer auf Deutsch, ebenfalls seiner Muttersprache, sprechen zu können. Eine bestimmte Art von Dialogen geht nämlich verloren, wenn das Hin und Her auf Englisch stattfindet, der Standardsprache in der Welt des Tennis.

Ich erinnere mich genau an den 14. September 2010. Es war ein lebhafter früher Morgen. «Hey, Glückwunsch. Das ist grossartig, was du getan hast.» Es war wahrscheinlich nicht mein witzigster oder herzlichster Witz oder meine herzlichste Bemerkung, ich hätte wahrscheinlich etwas Gehaltvolleres sagen können. Aber es war halb zwei Uhr morgens, ich sass in der mittleren Sitzreihe eines weissen Mini-Busses auf einem dunklen Parkplatz in Queens, New York. Die Aufregung und Anspannung der letzten Stunden schlugen nicht nur auf meinen Körper durch: Sie hatten auch meine geistige Beweglichkeit leicht beeinträchtigt.

Interview nach US-Open-Triumph auf der Autobahn

Auf diesem Parkplatz unter freiem Himmel war es in dieser dunklen Nacht am Ende des New Yorker Sommers so dunkel, dass ich, wenn ich nicht mit ihm in den Van gestiegen wäre, schlicht nicht gewusst hätte, mit wem ich spreche.

Obwohl ich seit über dreissig Jahren über grosse Veranstaltungen berichte, begeistern mich diese Details des Spitzensports immer wieder aufs Neue. Ich bin immer wieder erschüttert: Im Moment des Triumphs (oder der Niederlage) gibt es viel Licht, sogar zu viel, es gibt zu viel Licht, es gibt Tausende von Zuschauern und Dutzende oder Hunderte Millionen Fernsehzuschauer. Alle schauen auf den Star.

Aber früher oder später wird dieser Star allein gelassen und in die Dunkelheit geschickt. Und so war Nadal in diesem Moment praktisch allein. Und im Dunkeln, ohne Zweifel. «Danke, danke», war die Antwort, die zwischen der Kopfstütze, die als Grenze zwischen uns beiden diente und es uns ermöglichte, etwas Abstand zu halten, herausrutschte.

So kam es, dass wir uns dafür entschieden, jeder für sich zu versuchen, seinen eigenen Wirbelsturm der letzten Stunden zu sortieren – sein unvergleichlicher auf dem Platz, meiner lediglich journalistischer – und ich respektierte auch einen jungen Mann, der vier Stunden lang auf dem Beton gekämpft hatte, eine lange Pressekonferenz und mehrere Interviews mit akkreditierten Journalisten beim Turnier hinter sich hatte. Ein intensiver Arbeitstag von fast zehn Stunden. Das und die Barriere, die ich mir immer selbst auferlege: die der distanzierten Nähe zu den Protagonisten. Zu weit weg wird es kalt, aber zu nah verbrennt man sich.

Alleine mit dem Mann, der gerade ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat

In dieser kurzen Minute, die wir allein im Bus verbrachten, hatte ich das Privileg, um das mich fast jeder beneidete: Ich war allein mit Nadal, dem Mann, der gerade die US Open gewonnen hatte, der Nummer eins, der bereits sagen konnte, dass er die Trophäen der vier wichtigsten Turniere gewonnen hatte. Dem jungen Mann, der eine Legende auf Augenhöhe mit Fred Perry, Rod Laver, Donald Budge, Roy Emerson, Andre Agassi und Roger Federer schon war. Und seit dieser Nacht gehörte auch Nadal dazu. Später gesellte sich auch Novak Djokovic zu ihnen.

Was hatte ich dort mit Nadal zu suchen? Der Van war der Schauplatz seines letzten Interviews an diesem Abend. Ein ebenso ungewöhnlicher wie idealer Ort, denn als wir auf dem Weg in ein ruhiges Manhattan die leere Autobahn überquerten, waren wir beide bereits sehr gesprächig und voller Energie, und Nadal gab mir eines der besten Interviews, die ich je mit ihm geführt habe. Für ein gutes Interview braucht man einen guten Interviewer, aber auch einen Interviewpartner, der sich darauf einlässt. Nadal war an diesem Abend der ideale Gesprächspartner.

So sehr, dass er das Hindernis, das diese Kopfstütze immer noch darstellte, neutralisierte, indem er mein Tonbandgerät an der Seite durchschob. «Soll ich es halten? Das ist bequemer.» Und während der nächsten zwanzig Minuten, in denen der weisse Van durch die Dunkelheit der Nacht fuhr, hielt der Mann, der bereits einer der grössten Tennisspieler aller Zeiten war, das Tonbandgerät gleich selber vor seinen Mund. Während wir über Holzschläger, die Angst vor dem Meer, wenn er den Grund nicht sehen kann, oder darüber sprachen, ob es möglich ist, Tennis zu «hassen», lauschte eine für ein Interview ungewöhnliche Entourage in absoluter Stille: sein Vater, seine Freundin, sein Agent, sein Pressesprecher, sein Mann bei Nike und sein Physiotherapeut.

Jetzt enden in Malaga 21 unglaubliche Jahre

Schliesslich, und bevor ich in der Ecke meines Hotels abgesetzt wurde, kamen wir auf das Thema Fussball zu sprechen. Immerhin waren Nadal und ich zwei Monate zuvor in Johannesburg im Soccer City-Stadion gewesen – er als Fan, ich bei der Arbeit – in dem Stadion, in dem Spanien zum ersten Mal in seiner Geschichte die Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Immerhin hatte Argentinien, mein Land, Spanien einige Tage zuvor in einem Freundschaftsspiel in Buenos Aires überraschend mit 4:1 besiegt.

«Weltmeister der Freundschaftsspiele», neckte mich Nadal lachend. Keine schlechte Definition, vor allem aus dem Mund eines Mannes, der so viel über Fussball weiss. Zwei Minuten später setzte mich Nadal an der Second Avenue und Fiftieth Street ab, zwanzig Meter von meinem Hotel entfernt.

2024 habe ich gesehen, wie er versucht hat, zurückzukommen, ich habe gesehen, wie er in der ersten Runde in Roland Garros verloren hat und bei den Olympischen Spielen von Djokovic geschlagen wurde. Jetzt kommt der Abschied am Davis-Cup in Malaga, das Ende von unglaublichen 21 Jahren, in denen ich einen der erstaunlichsten Sportler der Geschichte rund um die Welt begleitet habe.

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