Die Kirschbäume blühen, die Sonne brennt, Lara Gut-Behrami (31) strahlt. In Soldeu (And), auf gut 1700 Metern gelegen, hat der Frühling längst Einzug gehalten. Die Pyrenäen bieten die perfekte Kulisse für die perfekte Fahrt, die Gut-Behrami in den Schnee zaubert. Die Tessinerin gewinnt nicht nur den Super-G, sondern holt auch die vierte Disziplinen-Kristallkugel ihrer Karriere. «Es ist ein wunderschöner Tag. Ich habe es geschafft», sagt sie im SRF.
Kann sie nun, mit 31 Jahren und im Herbst ihrer sportlichen Laufbahn, diesen Erfolg mehr geniessen als die vorherigen? «Ich würde es mir wünschen», sagt Gut-Behrami schmunzelnd. Das Gegenteil sei der Fall. Um diese Aussage zu verstehen, muss man das Rad der Zeit zurückdrehen.
Rückblick. Nach einem verletzungsfreien Sommer 2022 war Gut-Behrami voller Tatendrang. «Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich mit 31 Jahren fitter fühlen würde, als mit 20. Aber so ist es.» Prompt gewinnt sie in Killington (USA) ihr erstes Rennen der Saison. Eine Woche später, bei Minus 20 Grad in Lake Louise (Ka), wendet sich das Blatt. Man hört die Tessinerin erstmals fluchen, als sie beim Super-G an einem Tor vorbeifährt. «Ich merke, dass es nicht einfacher wird. Ich brauche viel mehr Physiotherapie als früher. Und ich habe Mühe beim Autofahren, bekomme immer Rückenweh – das hatte ich früher nie», erzählte sie sieben Tage später in St. Moritz GR.
Frust pur und Rücktrittsgedanken
Der Körper lässt Gut-Behrami mehr und mehr im Stich. Sie spürt das Alter, 15 Jahre im Weltcup haben doch mehr Spuren hinterlassen, als sie gedacht hatte. Erfolge und Niederlagen wechseln sich im Weltcup ab, Gut-Behrami fährt meist auf hohem Niveau, ist aber selten glücklich. Für eine, die alles gewonnen hat, ist gut nicht gut genug. «Der Winter war eine Achterbahnfahrt. Ich war oft nicht da, wo ich sein wollte», sagt sie.
Die WM in Méribel (Fr) Mitte Februar verkommt dann zum Tiefpunkt. Im Super-G wird Gut-Behrami Sechste, vier Hundertstel fehlen zur Medaille. Im Riesenslalom sind es neun Hundertstel, die Tessinerin schwingt als Vierte ab und verweigert jedes Gespräch. Es seien schliesslich «due settimane di merda», also «zwei Scheisswochen», gewesen.
Losgelöste Fahrt zur Kugel
Heute gibt Gut-Behrami zu, dass der Rücktritt nach der WM durchaus eine Option gewesen sei. Andererseits habe sie gedacht: «So möchte ich nicht aufhören, das geht nicht.» Sie, die Kämpferin, machte weiter. «Ich habe irgendwann entschieden, dass ich noch zwei Jahre fahren werde. Das hat mir die Lockerheit zurückgegeben. Es war, wie wenn sich die Türen wieder geöffnet hätten.»
Tatsächlich fährt Gut-Behrami in Soldeu losgelöst von allen Sorgen – so wirkt es zumindest. Am Start habe sie gewusst: «Das ist nicht mein letzter Super-G, sondern einfach ein Super-G. Da kann ich Gas geben.» Genau das machte sie. Von der WM-Hölle in den Kristallkugel-Himmel – Gut-Behrami hat es gepackt.