Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann (53) sagt am Samstagabend bei seiner Rede zu Weltmeisterin Jasmine Flury (29): «Ab heute wird sich dein Leben verändern.» Es ist ein Satz, der die Bedeutung ihrer Goldmedaille unterstreicht, aber auch Respekt einflösst. Ab sofort wird Flury, die Kämpferin und Aussenseiterin, mit anderen Augen betrachtet. Tags darauf treffen wir Flury im Teamhotel Allodis. Sie hat ihre Siebensachen für die Abreise schon gepackt, nimmt sich aber Zeit für ein Gespräch. Und schaut zurück auf die verrücktesten 24 Stunden ihres Lebens. Fünf besondere Episoden bleiben hängen.
Ihr Servicemann Gigi betreute Elena Fanchini (✝37). Flury hatte bei ihrem Gold-Ritt Raketen an den Füssen. Verantwortlich für sie: Luigi «Gigi» Parravicini. Der Servicemann, der auch Joana Hählens Ski präpariert, ist ein Meister seines Fachs. Gleichzeitig macht er in Méribel eine schlimme Zeit durch. Denn: Parravicini war bei der WM 2005 noch Servicemann von Elena Fanchini, die damals WM-Silber gewann. Am Mittwoch erlag die Italienerin ihrem Krebsleiden, am Samstag holte «Gigi» mit Flury Gold. «Zufälle gibt es nicht», schrieb Abfahrts-Ass Sofia Goggia (30) auf Twitter. Und Flury meint: «Er ist so ein harter Arbeiter und herzlicher Mensch. Und er wertete meinen Titel auch als Zeichen.» Just während der Abfahrt wurde Fanchini in der Nähe von Brescia zu Grabe getragen.
Party im Méribel-Ballermann. «La Folie Douce» heisst das angesagteste Après-Ski-Lokal in Méribel. Es ist nur via Gondel oder mit den Ski zu erreichen. Flury geniesst wenige Stunden nach ihrem Sieg gemeinsam mit Hählen die Sonne und die wabernden Bässe auf der Terrasse. Die 6-Liter-Champagner-Flasche von Cristal Roederer für 16’000 Franken leistet sie sich zwar nicht, dafür einen Hamburger.
Weisswein gegen das Kopfweh. Um 18:30 Uhr steigt Flury bei der Siegerehrung aufs oberste Podest. Es ist der Höhepunkt ihrer Karriere. «Das kann mir niemand mehr nehmen», sagt sie. Danach gehts ins TV-Studio und ins «House of Switzerland», wo die Stimmung auf dem Siedepunkt ist. «Ich bin keine, die gerne im Mittelpunkt steht, doch zum Glück wurde Corinne Suter Dritte, sodass sie immer an meiner Seite war.» Überfordert habe sie der Rummel trotzdem, sagt Flury. «Ich war müde und hatte Kopfweh. Doch ein Glas Weisswein hat geholfen, etwas zu entspannen.» Sie tanzt zwar nicht auf dem Tisch, aber immerhin auf dem Stuhl.
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In der Nacht zum dritten Mal Tante. Nach ihrem Goldrennen ruft Flury bei ihrer älteren Schwester an, sie ist hochschwanger. «Es ist noch nicht so weit, aber bald», sagt sie ihr. Wenige Stunden später, kurz nach Mitternacht, ist Flury jetzt dreifache Tante. «Alles ist gut gegangen. Ich freue mich riesig, denn die Familie gibt mir extrem viel. Ich habe auch einen Göttibub, den ich über alles mag.»
Schlafen? Geht fast nicht. Flury kehrt erst spät ins Hotel zurück – man soll schliesslich die Feste feiern, wie sie fallen. Im Zimmer angekommen, findet die Bündnerin aber keinen Schlaf. «Ich lag wach im Bett, ging alles nochmals durch, schaute Videos. Letztlich habe ich keine Stunde geschlafen. Ich brauche noch Zeit, um zu realisieren, was in den letzten 24 Stunden abging.»