Wer rund um den Hirschenkogel oberhalb von Semmering (Ö) Schnee sucht, muss genau hinschauen. «Geht es so weiter, haben wir hier in zehn Jahren keine Rennen mehr», prognostiziert ein Ordner. Lara Gut-Behrami (31) kümmert das in diesem Moment, als sie das Starthaus auf 1335 Meter über Meer verlässt, nicht. Ihr Ziel ist der Sieg – und als Halbzeit-Führende hat sie gute Chancen darauf. «Ich würde auf sie wetten», sagt die nach dem ersten Lauf zweitplatzierte Mikaela Shiffrin (27).
Letztlich kommt es anders, der US-Star dreht den Spiess um und gewinnt – so wie tags zuvor und insgesamt zum 79. Mal im Weltcup. Shiffrin fehlen nur noch sechs Erfolge bis zum Allzeit-Rekord von Ingemar Stenmark (85 Siege). Die Ski-Legende aus Schweden hatte vor einem Jahr gar gemeint: «Mikaela wird über 100 Rennen gewinnen.»
Zurück zu Gut-Behrami. Was sie bei schlechter Sicht und ruppiger Piste am Zauberberg zeigt, ist stark. Oder wie es Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor formuliert: «Sensationell.» Nach dem Rennen ist der Tessinerin aber nicht zum Jubeln zumute. Erstens, weil sie nach zwei fordernden Riesenslaloms müde ist. Zweitens erklärt sie: «Das Gefühl auf der Strecke war miserabel – es hat geschlagen, der Schnee war schwierig und die Sicht flach. Es war ein Kampf.»
«Sie macht es wie die Männer»
Den Sieg vergibt Gut-Behrami in den ersten 13 Fahrsekunden. Beide Läufe zusammengerechnet, büsst sie auf dem flachen Starthang 73 Hundertstel auf Shiffrin ein. Weil auch alle anderen Fahrerinnen dort entscheidendes Terrain einbüssen, herrscht im Zielraum Rätselraten. Hat die Freundin von Aleksander Kilde (30, No) etwa eine neue Wunderwaffe? Immerhin baute Atomic zuletzt beim Training vor Weihnachten auf der Reiteralm (Ö) Ski, die genau zu den aktuellen Bedingungen passen. Österreichs Katharina Truppe (26) sprach gar von einer «Maschine» an den Füssen Shiffrins. «Keine Ahnung, das müssen wir analysieren», sagt Gut-Behramis Vater und Trainer Pauli Gut.
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Wahrscheinlicher ist, dass Shiffrin schlicht schneller aus dem Starthaus beschleunigt als ihre Gegnerinnen. Italiens Federica Brignone (32) analysiert: «Sie schiebt viel besser an als wir, auch ihre Schlittschuhschritte sind stark. Ich bin normalerweise auch gut darin, aber Mikaela ist unglaublich – sie macht es wie die Männer.» Shiffrin selbst gibt zu, derzeit am Start «ziemlich schnell» zu sein.
Neben Gut-Behrami holen sechs weitere Schweizerinnen Punkte. Die neuen Salomon-Fahrerinnen Michelle Gisin (26.) und Camille Rast (27.) bleiben aber deutlich unter ihrem Potenzial, was die Schweizer Bilanz trübt.