Swiss-Ski-Boss Urs Lehmann über Parallel-Rennen, Ökologie und Geld
Diese Reformen braucht der Ski-Zirkus

10 heisse Thesen, 10 klare Antworten: Urs Lehmann (51) blickt in die Ski-Kristallkugel und sagt, wie er die Zukunft des Sports sieht.
Publiziert: 28.03.2021 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 28.03.2021 um 21:18 Uhr
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Wohin des Weges? Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann sagt, wie sich der alpine Skisport aus seiner Sicht entwickeln sollte.
Foto: keystone-sda.ch
Mathias Germann

1. Parallel-Rennen haben ausgedient.

Diesen Winter hat es nur gerade zwei Einzelevents auf Top-Ebene gegeben. Dabei war der Parallel-Event in Lech gut bis sehr gut, der Event in Cortina allerdings das Gegenteil. Bezüglich Fairness hat dieser Event die Grenzen und Unzulänglichkeiten deutlich aufgezeigt. Man hat in den vergangenen Jahren zu stark am Format geschraubt – leider nicht nur zum Guten. Heute haben wir ein verschlimmbessertes Format, welches ohne ausreichendes Testen an der WM vollzogen wurde und dabei leider durchgefallen ist. Zudem finden auf unteren Stufen wie Kontinentalcup und FIS-Rennen aktuell nicht genügend Events statt, als dass sich Parallel-Events als Disziplin durchsetzen könnten. Wenn man die Disziplin retten will, muss man schnell und konsequent reagieren.

2. Der Weltcup sollte nur aus den vier Disziplinen Abfahrt, Super-G, Riesenslalom und Slalom bestehen.

Das wäre eine Möglichkeit, aber nicht unbedingt die beste, wenn man das grosse Ganze betrachtet. Wichtig ist, dass im Weltcup genügend Parallel-Rennen und Kombinationen ausgetragen werden (mindestens je 4), dann haben sie auch Gewicht. Unablässig ist zudem, dass die Rennen attraktiv gestaltet werden vom Format her bis zur Pistenwahl und Pistenpräparation. Im Übrigen verteilt das IOC viele Mittel, unter anderem auch aufgrund der Anzahl Disziplinen und Medaillensätze, die an Olympischen Spielen vergeben werden. Wenn die Parallel-Rennen und die Kombination wegfallen, bekommen die FIS, die nationalen Verbände, die Athleten bis hin zu den Veranstaltern letztlich weniger finanzielle Unterstützung.

3. Speed-Fahrer sind im Gesamtweltcup chancenlos. Es sollte gleich viele Rennen pro Disziplin geben.

Für reine Speed-Fahrer ist es aktuell kaum möglich, den Gesamtweltcup zu gewinnen. Das ist mehr als unglücklich. Wir von Swiss-Ski haben bereits vor zwei Jahren in einer FIS-Arbeitsgruppe einen Ansatz vorgestellt, wie der Weltcup-Kalender ausgeglichener gestaltet werden sollte. Damals haben alle genickt, passiert ist nichts Nachhaltiges – für mich ist das nicht nachvollziehbar. Künftig muss zwischen Speed- und Technik- Wettkämpfen eine Gleichheit hergestellt werden im Kalender. Angenommen, es könnten 44 Rennen pro Winter durchgeführt werden. Vier davon sind Kombinationen, vier Parallel-Rennen. Dann bleiben 36, womit sich für jede Hauptdisziplin neun Wettkämpfe ergeben.

4. Die Pistenpräparation gehört in die Hände der immer gleichen Experten.

Die Schweizer Weltcup-Veranstalter leisten hervorragende Arbeit – nicht zuletzt auch, was die Präparation der Rennstrecken anbelangt. Die Idee, dass absolute Profis von einem Weltcup-Ort zum nächsten reisen und für gleichmässige Pistenverhältnisse sorgen, existiert. Es ist ein interessanter Ansatz, dass Experten die einzelnen Veranstalter in Zukunft noch mehr unterstützen. Perfekte Rennpisten verbessern die Sicherheit der Athletinnen und Athleten entscheidend.

5. Die TV-Zuschauer werden immer älter – es braucht Innovationen.

Gerade in diesem Winter und vielleicht auch wegen den Schweizer Erfolgen spüren wir eine Verjüngung des Publikums und der Fans. Nichtsdestotrotz sind Innovationen wichtig, um vor allem für die Jungen attraktiv zu sein. Gute, telegene Formate sind die Grundlage. Wir müssen uns aber auch weiterführende Gedanken machen in Richtung E-Sports und Gaming. Vorbildlich ist hier die FIA Formel E, welche den realen Sport mit der digitalen Welt in Realtime verknüpft. Es gilt, den Spagat zu schaffen zwischen Tradition und Innovation.

6. Mehr Abendrennen bringen mehr Interesse und mehr Geld.

Richtig! Ein Rennen, welches um 18 Uhr mit dem ersten Lauf beginnt und um ca. 21.45 Uhr mit dem zweiten Durchgang endet, kann von mehr TV-Zuschauern verfolgt werden als eines am frühen Nachmittag – insbesondere, wenn es unter der Woche stattfindet. Nicht umsonst werden die Champions-League-Spiele um 21 Uhr statt um 13 Uhr angepfiffen. Abendrennen unter der Woche ermöglichen darüber hinaus, Druck aus dem sehr dichten Weltcup-Kalender zu nehmen.

7. Die Starterfelder sind viel zu gross.

Das glaube ich nicht. Die Frage ist nur, wie man die Rennen medial darstellt, damit es im TV kompakt und spannend rüberkommt.

8. Der Weltcup mit seiner ganzen Reiserei ist nicht sehr ökologisch.

Dies ist ein Thema, das nicht nur den alpinen Ski-Weltcup betrifft. Der internationale Sport auf höchster Stufe ist in den meisten Sportarten mit vielen Reisen verbunden. Es gilt, den Kalender auch diesbezüglich bestmöglich zu optimieren.

9. Es wäre ein Versuch wert, die Skicrosser in den Alpin-Zirkus zu integrieren.

Diese Vision habe ich schon seit einiger Zeit. Es geht in diese Richtung, aber die FIS will diese Entwicklung richtigerweise Schritt für Schritt angehen. Skicross hat viel mehr mit Ski alpin als mit Ski Freestyle zu tun. Eine schrittweise Annäherung ist anzustreben. Es wäre jedoch falsch, Skicross sofort im Rahmen einer Alpin-WM durchzuführen.

10. Es gibt zu viele Verletzte. Das schreckt die Nachwuchsfahrer und deren Eltern ab.

Die Verletztenliste ist eindeutig zu lang. Swiss-Ski hat deshalb sehr viel in die Verletzungsprävention investiert und entsprechende Projekte lanciert. Es gilt, schon in den Jugendjahren Verletzungen – insbesondere am Knie – zu verhindern.

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