Nur fünf Tage nach ihrem ersten Weltcupsieg fährt Michelle Gisin (27) beim Slalom von Zagreb (Kro) als Dritte aufs Podest. Schon wieder ein Top-Resultat. Und man fragt sich: Warum fährt Michelle Gisin seit Winterbeginn so stark wie nie zuvor? Ein Puzzlestein des Erfolgs ist ihre mentale Verfassung. Sie ist frei im Kopf, hat Spass, denkt nicht zu viel nach. Tönt einfach, ist es aber nicht. Viele Details mischen dabei mit – unter anderem die Musik, welche sie vor dem Start jeweils hört. «Ich habe mir vor dieser Saison sehr gezielt eine Playlist gemacht, die ich ab dem Zeitpunkt, bei dem es auf den Berg geht, höre», so Gisin. «Dann baut sich etwas in mir auf. Die Musik hilft mir, den Kopf frei zu bekommen.»
Mit der Musik zum Höhenflug angesetzt
Doch was hört Gisin eigentlich unmittelbar vor dem Start? Zuletzt bei ihrem Sieg am Semmering (Ö) sah man sie tanzend mit Stöpseln in den Ohren. «Seit einiger Zeit ist es das Lied Shake Away von Michael Patrick Kelly. In der Live-Version – das ist wichtig», verrät die Engelbergerin. Der Pop-Song beginnt langsam, steigert sich dann aber in einen markanten Refrain. «Er ist schlicht perfekt», schwärmt Gisin über das Lied des irisch-amerikanischen Sängers, der in den 90ern mit der Band Kelly Family berühmt wurde.
In Zagreb schlängelt sich Gisin tatsächlich so schön durch die Tore, wie Michael Patrick Kelly singt. Schon im ersten Durchgang drückt sie dabei mächtig aufs Gaspedal und zeigt bei Nebel, Plus-Graden und leichtem Regen eine gute Fahrt – Platz 3. Sie riskiert dabei viel, droht aber nie auszufallen. Kein Wunder: In den letzten 46 (!) Slalom-Läufen kam Gisin immer durch. «Ich habe grosses Selbstvertrauen», sagt sie. Das wird auch in Durchgang 2 deutlich. Gisin wird durchgeschüttelt, schiesst wie Siegerin Petra Vlhova (Svk) und der Zweiten Katharina Liensberger (Ö) einige Böcke. «Es war unmöglich, hier komplett sauber durchzukommen. Der Schnee war voller Salz, wie im Frühling – ein echtes Rodeo», so Gisin.
«Diese Krone hätte ich gerne gewonnen»
Einen Wermutstropfen gibts dennoch: Es fehlen Gisin nur 22 Hundertstel zum Sieg. Mit einem oder zwei Schnitzern weniger wäre er möglich gewesen. «Einerseits habe ich heute einen Kindheitstraum erfüllt. Denn früher schaute ich die Zagreb-Slaloms und die Duelle von Janica Kostelic und Tanja Poutiainen im TV an. Sie waren faszinierend.» Anderseits gibt Gisin zu, dass ihre Rückstand die schlimmsten 22 Hundertstel seien, die mir je in ihrem Leben gefehlt hätten. «Ich hätte die Krone, die Petra heute gewonnen hat, schon auch gerne gehabt», so Gisin.
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Vierte wird Mikaela Shiffrin (USA). Damit verpasst die jahrelange Dominatorin den 100. Karriere-Podestplatz. Auf Rang 6 reiht sich Wendy Holdener (27) ein. Sie hat den Status als Nummer 1 im Schweizer Slalom-Team definitiv an Gisin verloren. Nach dem Bruch des Wadenbeinkopfs im Herbst fehlen der Schwyzerin sechs Trainingswochen – das ist spürbar. Weitere Schweizerinnen schaffen es nicht ins Klassement. Camille Rast (21) wird im ersten Lauf 33. und Mélanie Meillard (22) fädelt ein. Die Absenz der verletzten Aline Danioth und Elena Stoffel wiegt schwer, das Zick-Zack-Team von Swiss-Ski ist dünn besetzt. Dennoch: Solange Gisin so schön tanzt, bleibt wenig Platz für Klagen.