Manchmal sei es schwierig, einen Fuss vor den anderen zu setzen, sagt Mikaela Shiffrin (27). Die Ski-Dominatorin (vierfache Gesamtweltcup-Siegerin) leidet auch zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters. Der Verlust schmerze. Täglich. Nur selten kann sie den Schmerz für eine kurze Zeit vergessen. «Wenn ich am Berg bin, fühlt es sich nach dem einzigen Ort an, an dem ich frei atmen kann», so Shiffrin.
Die US-Amerikanerin gibt bei «The Players' Tribune» einen intimen Einblick in ihre Gefühlswelt. Nach dem Tod ihres Vaters – Papa Jeff ist im Februar 2020 nach einem Unfall zuhause überraschend verstorben – habe sie ans Karriere-Ende gedacht. «Ich wollte nicht mehr Skifahren. Ich wollte nichts essen. Ich wollte nicht mehr schlafen», blickt sie zurück.
Sie fühlte sich schuldig, wenn sie ihrer Leidenschaft nachging. Jener Leidenschaft, die sie mit ihrem Papa so innig geteilt hat. Deshalb habe sie im Frühjahr 2020 pausiert. Erst im darauf folgenden Winter kehrte sie in den Weltcup zurück. Das grosse Ziel? Die Erinnerungen an Vater Jeff am Leben behalten. «Meine grösste Angst ist, dass ich ihn ein weiteres Mal verlieren würde, wenn ich seine Erinnerung sterben liesse», so Shiffrin.
«Ich habe seine Stimme gehört»
Kurz darauf feierte sie in Courchevel (Fr) den ersten Weltcupsieg seit ihrem Comeback. Im Riesenslalom. Auch da spielte Papa Jeff eine grosse Rolle. Shiffrin: «Ich habe seine Stimme gehört. Und dann habe ich meine Ski einfach den Berg runterfahren lassen. Ich liess mich den Sieg holen.» Dieser Moment habe sie besonders viel Kraft gekostet.
Später folgten die verknorzten Winterspiele in Peking. Shiffrin holte als Top-Favoritin keine einzige Medaille. Was in China passierte, wisse sie nicht. Ihre mentale Gesundheit habe aber wohl eine Rolle gespielt.
Seither hat sie zum vierten Mal in ihrer Karriere den Gesamtweltcup gewonnen. Deshalb fühle sie sich aber nicht rehabilitiert. «Ich fühle mich weder gut noch schlecht», meint sie. «Momentan ist meine Wahrheit viel komplizierter, als man im TV mitbekommt.» Erst mit ihren Worten bei «The Players' Tribune» konnte sie ihren Fans zumindest etwas zeigen, was sie die letzten Monate durchgemacht hat. (mam)