Es gibt da dieses Bild von uns. Marco, ungefähr zwölf Jahre alt, ein blonder Bub, ich im Renndress. Wir sitzen nebeneinander im Gras. Ich erinnere mich gut daran. Es war 2009 in Zermatt. Jeweils im Dezember findet in der Lenzerheide das Internationale Jugendskirennen Silvano Beltrametti statt. Die zwei Mädchen und zwei Jungs mit den Tagesbestzeiten gewinnen einen Skitag mit mir. Ich habe Marco Odermatt also im Sommer danach in Zermatt getroffen und bin mit ihm und den anderen Gewinnern eine Stunde auf dem Gletscher Ski gefahren. Nach meinem Training habe ich mir die Zeit dafür genommen.
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Anschliessend gingen wir zusammen Zmittag essen, danach entstand dieses Bild. Es macht mir immer grossen Spass, mit den Kindern zusammen Ski zu fahren. Bei Marco Odermatt fiel mir damals auf, dass seine Technik nicht mehr gross korrigiert werden musste. Ich hab ihm einen Tipp zur Armpositionierung in der Kurve gegeben. Alle Kinder hatten ein super Niveau. Aber bei ihm hätte ich sonst nichts mehr verbessern können.
Mir hat es viel bedeutet, die Jugend inspirieren zu können. Dass Marco einmal sagte, ich sei für ihn ein Vorbild gewesen, lässt mich nicht kalt und freut mich sehr. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er eine Inspiration gebraucht hat. Für das, was er jetzt zeigt, gibt es fast keine Superlative mehr. Heute ist er das Vorbild. Auch für meine Kinder Amélie (5) und Noé (8) die bereits Klub- und Regionalrennen fahren. Er ist ihr grosser Held. Der Held einer ganzen Generation von Kindern. Er ist schon jetzt, in seinem jungen Alter, einer der grössten Namen in der Geschichte des Skisports.
Erste Duftmarke an der Junioren-WM
Dass er ein ganz Grosser werden kann, wurde mir bewusst, als Marco Odermatt bei der Junioren-WM 2018 in Davos fünf Goldmedaillen holte. Man trifft viele Junioren-Weltmeister später im Weltcup. Einige können sich etablieren, andere holen ab und zu ein gutes Resultat. Aber eine solche Konstanz über so viele Disziplinen zeigt schon grosses Potenzial. Da muss man kein Hellseher sein, um das zu erkennen.
Wir haben bis heute ab und zu Kontakt. Am Pistenrand haben wir uns in dieser Saison nicht getroffen. In der Woche nach dem Final in Saalbach werde ich ihm aber sicher ein paar Worte schreiben. Nur schon seine Angehörigen und Freunde überfüllen wohl sein Telefon. Deshalb erwarte ich keine Antwort. Ich weiss, was er alles um die Ohren hat – und was das bedeutet. Er nimmt sich so viel Zeit für alle.
Es beeindruckt mich, wie er das schafft. Ich habe erst in der zweiten Hälfte meiner Karriere erfahren, was das alles heisst mit den Medien. Das ist enorm. Deshalb beeindruckt er mich auch als Mensch. Er ist immer respektvoll gegenüber den Gegnern, staunt über seine eigenen Leistungen. Und das mitzuerleben, macht mir Spass. Natürlich kann er dank seines Erfolges auch unbeschwert aufspielen. Er steht am Start und weiss, wenn er das macht, was er kann, landet er ungefähr dort, wo er will. Klar, seine Messlatte liegt extrem hoch. Alles, was kein Sieg ist, gibt schon zu diskutieren. Wenn er am Start steht, sind seine Gedanken beim Gewinnen.
Mit viel Können ans Limit
Der vielleicht grösste Unterschied zwischen uns ist, dass bei ihm der Knopf so früh aufgegangen ist. Dass er so jung schon mehr erreicht hat als ich in meiner ganzen Karriere. Ich wünsche Marco von Herzen, dass er gesund bleibt, dass er von schweren Verletzungen verschont wird. Sein grosses Können hilft ihm, dass er sich an seinem Limit von 100 Prozent Risiko bewegen kann, ohne jedoch seine Grenzen zu überschreiten. Was er leistet, ist nicht selbstverständlich. Ich hoffe, dass er auf diesem Niveau noch lange weiterfahren kann und darf.
Didier Cuche (49) ist Super-G-Weltmeister und 21-facher Weltcupsieger. 2012 trat er zurück.
Text wurde ursprünglich von Nadine Gerber in der Schweizer Illustrierten veröffentlicht.