Das tragische Trio
Die Top-Funktionäre aus dem Lauberhorn-OK und von Swiss Ski sind nach dem ersten Training auf der längsten Abfahrt der Welt richtig hässig, weil sich viele Athleten öffentlich gegen drei Speed-Rennen in drei Tagen aussprechen. Was dann passiert, gibt den Kritikern des Monsterprogramms aber vollkommen recht: Mit Alexis Pinturault (Fr, 32 Kreuzbandriss im Super-G) und Aleksander Aamodt Kilde (erleidet in der Original-Abfahrt tiefe Schnittwunde im Unterschenkel, ausgekugelte Schulter) fliegen zwei Top-Stars derart heftig ab, dass sie für den Rest der Saison ausfallen. Der Berner Oberländer Marco Kohler, der mit einem 8. Rang in Gröden (It) und dem 10. Platz in Bormio (It) sehr vielversprechend in diesen Abfahrts-Winter gestartet ist, reisst sich in der verkürzten Abfahrt vom Donnerstag das Kreuzband. FIS-Renndirektor Markus Waldner kündigt nach dieser Verletzungsserie Konsequenzen an: «Das Rennprogramm war hier offensichtlich überladen, in Zukunft werden wir hier nie mehr ein Rennen nachholen, welches wie in diesem Fall in Beaver Creek abgesagt wurden. Zumindest nicht, solang ich Renndirektor bin.»
Der Ferien-Hattrick für Gut-Behrami
Die Österreicherinnen nutzen den Heimvorteil in Zauchensee – sie haben drei Tage auf der Strecke trainiert – gnadenlos aus und fahren reihenweise Podestplätze heraus. Die Folge? Sie verwandeln den 99-Punkte-Rückstand auf die Schweiz in der Frauen-Nationenwertung in einen Vorsprung von 10 Punkten. Am Sonntag spuckt ihnen Lara Gut-Behrami dennoch in die Suppe und gewinnt den Super-G. Und: Unser Nachbarland zeigt sich grosszügig! Weil Gut-Behrami über alle drei Rennen die geringste Gesamtzeit (4:15,42 Minuten) aufweist, erhält sie einen Gutschein: «Eine Woche Sommerurlaub für zwei Personen in St. Anton am Arlberg.» Ob sie und ihr Ehemann ihn 2024 einlösen werden? Schon 2021 und 2022 hamsterte sie einen Gutschein. Nun holt sie den Ferien-Hattrick.
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Der blutige Kuss
Am Tag nach seinem furchterregenden Abflug im Ziel-S veröffentlicht Kilde ein besonderes Liebes-Selfie aus dem Spital: Während der Norweger an den Schläuchen hängend mit Blutspuren im Gesicht im Bett liegt, drückt ihm seine Freundin Mikaela Shiffrin (28) einen Kuss auf die Stirn. Die Rekord-Weltcupsiegerin hat auf ihren Einsatz bei den Weltcuprennen in Zauchensee verzichtet und ist stattdessen nach Bern gefahren, wo ihre grosse Liebe seit Samstag stationiert ist. «Ich werde hier von der einzig wahren Mikaela Shiffrin gepflegt. Und ich wurde zusammengeflickt», schreibt Kilde auf seinem Instagram-Kanal und bedankt sich bei seiner Fangemeinde für die «vielen schönen, aufbauenden Worte». «Dieser Sport kann so brutal sein, ich liebe ihn aber trotzdem.» Das bedeutet im Klartext: Der 31-Jährige wird im nächsten Winter wieder leidenschaftlich angreifen.
Die rätselhaften Tränen
Sofia Goggia (31) ist und bleibt die unbestrittene Abfahrts-Königin. Sie gewinnt am Samstag souverän und versöhnt sich mit der Kälberloch-Strecke, auf der sie schon mehrmals abgeflogen ist. Grund zur Freude? Sicher! Aber: Etwa eine Stunde nach ihrer Zielankunft weint die wilde Italienerin hemmungslos. «Es waren keine Freudentränen», sagt sie. Und: «Ich darf gewisse Dinge nicht sagen.» Offenbar hat Goggia vor gut einer Woche ihren Kondi-Trainer in die Wüste geschickt – die Trennung scheint Spuren hinterlassen zu haben.
Der Brüggli-Zauberer
Die Genialität von Marco Odermatt (26) kommt beim berüchtigten Brüggli-S ganz besonders zum Tragen. Während Aleksander Aamodt Kilde im Vorjahr am Lauberhorn triumphierte, obwohl er bei der Einfahrt zum Brüggli in den Stemmbogen gegangen ist, fährt der Nidwaldner voll auf Zug durch diese Passage. Und deshalb gibt es derzeit nur ein Athleten, der dem zweifachen Gesamtweltcupsieger in den Speed-Disziplinen Paroli bieten kann: Der Franzose Cyprien Sarrazin (29) hat den Lauberhorn Super-G vor Odermatt gewonnen. In den beiden Abfahrten hat der Magier vom Vierwaldstättersee den wilden Draufgänger aus dem Südosten Frankreichs auf den Ehrenplatz verwiesen. Vor allem wegen der zauberhaften Linie im Brüggli-S.
Der Wahnsinnstyp und seine «Franatiker»
Der Obersimmentaler Franjo von Allmen (22) bekommt bei seinem Lauberhorn-Debüt die geballte Ladung an Frust- und Glücksgefühlen ab. In der verkürzten Abfahrt vom Donnerstag wird der 22-Jährige mit der zehntbesten Zwischenzeit abgewunken, weil sein Teamkollege Marco Kohler bei der Einfahrt zum Haneggschuss übel gecrasht ist. Bevor der gelernte Zimmermann mit dem Helikopter zurück an den Start geflogen wird, zweifelt Beat Feuz im SRF an einem Happy End für FvA: «Franjo wird sich zwar über den kurzen Heli-Flug freuen, aber so etwas bringt einen jungen Athleten komplett aus dem Rhythmus. Und die Kanten seiner Ski werden beim zweiten Start auch nicht mehr so gut sein.»
Doch von Allmen liefert unter diesen brutalen Voraussetzungen den Beweis, dass er wahnsinniges Potenzial besitzt – er fährt auf den 14. Rang. 24 Stunden später spürt Franjo nach dem Super-G-Sturz einen Zwick im Knie! Hinter seinem Start in der Original-Abfahrt steht plötzlich ein Fragezeichen. Ist sogar die Saison vorzeitig zu Ende? Im Gegenteil! Von Allmen steckt auch diesen Rückschlag im Rekordtempo weg und fährt am Samstag erneut auf den 14. Rang. Weil von Allmens Heimatort Boltigen BE lediglich 53 Kilometer von Wengen entfernt ist, jubeln ihm viele Freunde und Verwandte von der Tribüne aus zu. Franjos Fans nennen sich «Franatiker».
Das Schnee-Botox
Ski-Kiwi Alice Robinson (22) wird oft als Gummiball oder Kamikaze-Fahrerin bezeichnet. Die Neuseeländerin hat aber nicht nur einen wilden Fahrstil, sondern auch Humor. Nachdem sie im Training zur Abfahrt von Zauchensee bei einem Sturz den Schnee küsst, postet sie ein Bild mit blutiger Nase und geschwollener Unterlippe. «Natürliches Botox», schreibt sie darunter. In den Rennen läuft es dann nicht, sie bestreitet die beiden Super-Gs und wird 25. und 21.