Auf einen Blick
Ramon Zenhäusern musste in den letzten Monaten mehrmals dieselbe, ziemlich nervige Frage beantworten: «Fährst du überhaupt noch Ski?»
Der 2,02 Meter lange Slalom-Spezialist aus dem Oberwallis weiss ganz genau, warum er immer wieder mit dieser Frage konfrontiert wird. «Nachdem ich im Frühling von der Nationalmannschaft in den A-Kader degradiert wurde, haben einige Medien die Schlagzeile ‹Zenhäusern fliegt aus der Nationalmannschaft› gemacht. Deshalb glauben einige Leute, dass ich im kommenden Winter nicht im Weltcup starten darf.» Das ist natürlich ein Trugschluss.
In Wahrheit hat der Kader-Abstieg für den Team-Olympiasieger und Slalom-Silbergewinner von 2018 nur geringfügige Auswirkungen. «Ich habe die identischen Trainingsbedingungen wie die Nati-Fahrer, ich habe die genau gleichen Trainer. Ich bekomme auch nicht weniger Rennanzüge, Handschuhe und Unterwäsche. Einen Unterschied gibt es lediglich bezüglich des Autos. Athleten mit Nationalmannschaft-Status erhalten ein grösseres Auto mit einem Gratis-Leasing, ich bezahle für einen etwas kleineren Audi ein Leasing von 0,5 Prozent», erklärt der 32-Jährige.
«Ich war ein zu lieber Siech»
Damit Zenhäusern im nächsten Frühling auch wieder ein Gratis-Leasing für seinen Dienstwagen erhält, hat er in der Vorbereitung auf den kommenden Winter ein paar Dinge anders gemacht. «Dass ich in der vergangenen Saison nur eine Platzierung in den Top-15 eingefahren habe, hat nichts mit meiner Ski-Technik zu tun. Dass der Grundspeed gepasst hätte, habe ich in Adelboden gesehen, wo ich bis zu einem Fehler im Zielhang auf Podestkurs war. Doch ab Wengen hat mein Rücken nicht mehr mitgespielt. Deshalb absolviere ich jetzt unter der Anleitung von unserer Physiotherapeutin Laura Heer Pilates-Übungen. Die gebürtige Schwarzwälderin macht einen Top-Job, ich bin seit Monaten schmerzfrei.»
Im Gegensatz zu seinen Teamkollegen ist der Doppelmeter, der sechs Weltcupsiege auf dem Konto hat, im August nicht nach Ushuaia (Argentinien) geflogen. Stattdessen hat er auf dem Gletscher in Saas Fee trainiert. «Weil es in Saas Fee im letzten Winter rund zwölf Meter Neuschnee gegeben hat, wusste ich, dass ich nicht ans andere Ende der Welt fliegen muss, um optimale Trainingsbedingungen zu finden. Ich konnte mich in Saas Fee auf einer sehr steilen Slalom-Piste perfekt vorbereiten.» Zenhäusern will in Zukunft noch konsequenter seinen eigenen Weg gehen: «Weil ich ein zu lieber Siech war, und es immer allen recht machen wollte, habe ich mich zu stark von anderen Leuten beeinflussen lassen, ich habe zu wenig auf mich selber gehört. Jetzt höre ich viel mehr auf das, was mir mein Körper sagt.»
Ärger mit der Gendarmerie
Obwohl Zenhäusern trotz einer egoistischeren Denkweise nach wie vor ein besonders netter Zeitgenosse ist, hatte er im Sommer eine unliebsame Begegnung mit der französischen Polizei. «Ich bin mit ein paar Freunden zu den Olympischen Spielen nach Paris gereist. Wir wollten unbedingt den Tennis-Final zwischen Novak Djokovic und Carlos Alcaraz sehen. Weil es offiziell keine Tickets mehr für dieses Spiel gab, haben wir uns auf dem Schwarzmarkt umgesehen. Ich war bereit, 500 Euro für eine Karte zu bezahlen. Dummerweise hat sich mein Händler auf dem Schwarzmarkt als Polizist entpuppt, der den richtigen Schwarzmarkt-Dealern das Handwerk legen wollte.»
Deshalb war unser Slalom-Riese nicht im Tennis-Stadion, als Djokovic seinen Matchball verwandelte. Dafür war Zenhäusern live dabei, als der Schwede Armand Duplantis einen Weltrekord im Stabhochsprung bewerkstelligte. Und Sie können darauf wetten, dass Zenhäusern im kommenden Ski-Winter selber wieder Höchstleistungen schaffen wird.
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 01.10.2024