Das Simmental BE war bis vor kurzem vor allem Viehzüchtern und Anhängern von richtig bösen Männern ein Begriff. Das Simmentaler Rind gehört zu den bekanntesten Zweinutzungsrassen (Fleisch, Milch) der Welt. Und mit David Roschi und Kilian Wenger hat die Region im westlichen Berner Oberland die Schwingerkönige von 1972 und 2010 herausgebracht.
Einen alpinen Weltcupsieger hat es im Tal, das im Volksmund auch Munichrine genannt wird, bis dato nicht gegeben. Doch das dürfte sich bald ändern. Franjo von Allmen (22) aus Boltigen hat vor zwei Wochen beim Super-G in Garmisch als Dritter erstmals den Sprung auf das Weltcup-Podest geschafft. Und nur zehn Kilometer von FvA entfernt residiert in Därstetten mit Livio Hiltbrand (20) ein weiteres Toptalent.
Von den Schwingern gestärkt
Nachdem er im Vorjahr bereits Junioren-Weltmeister im Super-G wurde, gewann er vergangene Woche bei der JWM auch noch die Goldmedaille in der Abfahrt und Bronze im Super-G. Die beiden grössten Speed-Talente der Welt haben in der Vergangenheit aber nicht nur auf der Skipiste für Wirbel gesorgt. «Franjo und ich haben gemeinsam bei den E-Junioren des FC EDO Simme Fussball gespielt», erzählt Hiltbrand, der als laufstarker Flügelstürmer später auch den Talent-Scouts vom FC Thun aufgefallen ist. «Es hat eine Anfrage für eine Vorauswahl vom Stützpunkt des FC Thun gegeben. Ich habe mich aber dagegen entschieden, weil mich der Skisport mehr gereizt hat.»
Dass sich Hiltbrand als Skirennfahrer derart stark entwickelt, ist auch auf die Berner Spitzenschwinger zurückzuführen. «Wie Marco Kohler absolviere ich das Kraft- und Konditionstraining in Interlaken bei Roland Fuchs, welcher gemeinsam mit Matthias Glarner Fabian Staudenmann und Adrian Walther betreut. Als Marco und ich gesehen haben, was die im Kraftraum meistern, hat uns das angestachelt, selber mehr Gewichte zu stemmen.» Mittlerweile liegt Hiltbrands Kniebeugen-Rekord bei beachtlichen 140 Kilo.
Gänzlich auf den Sport konzentrieren kann sich Hiltbrand seit vergangenem Sommer. Zuvor hat er die Maurer-Lehre abgeschlossen. «Die Zeit auf dem Bau hat mich für das Leben im Ski-Zirkus abgehärtet», ist Hiltbrand überzeugt. «Als Maurer musst du bei jedem Wetter draussen deinen Mann stehen und du musst einige Arbeiten erledigen, die nicht wirklich schön sind. Deshalb bin ich mir jetzt auch bewusst, dass es ein grosses Privileg ist, dass ich mein grosses Hobby Skirennsport als Beruf ausüben kann. Und es macht mich stolz, dass ich der Belastung durch Ausbildung und Sport standhalten konnte.» Hiltbrand deutet auf dem Balkon von seinem Elternhaus in Richtung Pizzaofen. «Diesen Ofen habe ich zum Abschluss meiner Lehre gemauert.»
Gecoacht vom Abfahrts-Weltmeister 1991
Dass eine Maurer-Lehre ein sehr gutes Fundament für eine Karriere als Skirennfahrer ist, haben in der Vergangenheit bereits Hermann Maier (51, 54 Weltcupsiege) sowie Abfahrts-Olympiasieger Beat Feuz (36, 16 Weltcupsiege) bewiesen. An den 1,72 Meter kleinen Kugelblitz erinnert Hiltbrand (1,70 Meter) auch mit seiner Grösse.
Den letzten Schliff auf dem Weg zur Weltspitze erhält er von einer anderen Schweizer Abfahrts-Legende. Hiltbrand wird im Europacup von Franz Heinzer (61, Weltmeister 1991) gecoacht. «Ich kann mir keinen besseren Trainer als Franz vorstellen. Er ist bei der Wahl der Linie unbeschreiblich gut. Und wenn er dir etwas erklärt, macht er das mit so viel Leidenschaft, dass du das Gefühl bekommst, dass er immer noch selber fährt.»
Dennoch zeichnet sich das Ende der Zusammenarbeit zwischen Hiltbrand und Heinzer ab. Ganz einfach deshalb, weil der Simmentaler vor dem Aufstieg in den Weltcup steht. In der Abfahrtsgesamtwertung vom Europacup liegt er derzeit an vierter Stelle . Auf den dritten Platz, der gleichbedeutend mit einem Fix-Platz für den nächsten Weltcup-Winter ist, fehlen Hiltbrand drei Rennen vor Ultimo lediglich acht Punkte.